Die Wahrheit: Baum im Abseits

Derzeit sind sie überall unterwegs: Guerilla-Knitter. Die Strickliesel machen vor nichts mehr halt – nicht einmal vor unschuldigen Pflanzen.

Ein Baum mit Strickverkleidung

Bedauernswerten Bäumen wird die freie Rinde mit gepressten Strickwaren eingeengt. Foto: Imago

Klimawandel, Hitzestress, Insekteninvasionen - als hätten die Bäume es nicht schwer genug, jetzt fallen zu allem Überfluss auch noch die Vertreterinnen des „Guerilla-Knittings“ über sie her.

„Guerilla-Knitting“ ist ein Begriff aus der Welt der Handarbeit und bedeutet Kampfstricken. Dabei werden wehrlose Bäume, meist in der Stadt, von militanten Stricklieseln in ein Gespinst aus selbstgestrickten Stulpen, Topflappen und dergleichen eingewickelt. Fragen, ob der Baum das möchte, werden nicht gestellt, negative Vorerfahrungen des Baums mit Gespinsten und Wollen werden auch nicht abgefragt.

Dabei sind gerade Bäume mit Kiefern- oder Eichenprozessionsspinnererfahrungshintergrund häufig tiefgreifend traumatisiert. Kein Wunder, denn diese gefürchteten Baumschädlinge der Gattung Thaumetopoidae spinnen Bäume ein und legen ihre Eier in kindskopfgroße Gespinstnester ab. Daraus schlüpfen dann unzählige behaarte Raupen, die gnadenlos erst ihren Wirt, den Baum, kahlfressen und sich dann zu ihren berüchtigten Heerzügen zusammenschließen. Man kann sich vorstellen, was das bei derart traktierten Bäumen auslöst, wenn sie von Strickfreundinnen in Wollgespinste gewickelt werden: Stress pur!

Ignoranz an der Strickfront

Überhaupt ist Wolle den Pflanzen von Haus aus eher unangenehm, selbst die Baumwolle wird von der Mutterpflanze rasch abgestoßen, sobald sie reif ist. Die Baumwolle müsste übrigens Strauchwolle heißen, weil die Baumwollpflanze gar kein Baum ist.

Doch mit solchen Fragen beschäftigen sich die Guerilleras von der Strickfront gar nicht erst. Eine ihrer Vorkämpferinnen ist die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, die früher bei den Piraten Ringelpullis strickte. Wenn sie heute einen Baum mit bunten Strickblumen verkleidet hat, tritt sie einen Schritt zurück und betrachtet ihr Werk zufrieden: „Mir geht das Herz auf, wenn ich die Bäume in ihren Strickpullis sehe“, schwärmte sie kürzlich in der taz.

Franz Münch von der Stadtverwaltung Ulm sieht die Strickpullis für Bäume mit Unbehagen und begründet das in der Südwestpresse so: Unter den Wollpullis ist „Feuchtigkeit drunter, das gibt Pilze, das ist für den Baum nicht gut.“

Florian Heitzmann, der Pressesprecher der Insel Mainau, schlägt sich hingegen auf die Seite der Guerilleras: „Da es sich um Naturwolle handelt und genügend Luft durchkommt, hat es keinerlei negative Auswirkungen für die Bäume“, behauptet er ebenfalls in der Südwestpresse. Wenn sich schon die Fachleute nicht einig sind, sollte man doch erst mal innehalten und auf unnötige Pflanzenversuche verzichten.

Hätte es früher so etwas schon gegeben wie Guerilla Tree Knitting? Und womöglich gar in der strengen DDR? Steffi Barbiz aus Berlin verneint die Frage strikt: „Wenn vor 25 Jahren jemand auch nur einen Faden (!) um den Baum gewickelt hätte, wäre er in den Knast gekommen“, zitiert sie die taz. Gut, dass in der DDR damals so ein Faden nicht lange am Baum hängen geblieben wäre, da damals intensiv selbst gestrickt wurde und gute Wolle Mangelware war. Die beliebte Pramo (Praktische Mode) war in der DDR vor allem wegen ihrer praktischen Strickanleitungen begehrt.

Tradition der Prilblume

Experten sehen als Vorläuferin des „Guerilla-Knittings“ übrigens das Flowersticking mit den beliebten Prilblumen der siebziger Jahren. Damals beklebten die Mütter der heutigen Strickfreundinnen ihre braundunklen Einbauküchen mit den bunten Blumen von den Spülmittelflaschen. Wer Küchen mit Prilblumen beklebt, der bestrickt auch arglose Bäume, sagen ernstzunehmende Verhaltensforscher.

Frau Domscheit-Berg geht es bei ihren fragwürdigen Strickaktionen darum, „Themen wie Frauenrechte und Gleichstellung nach vorne zu bringen“, schreibt die taz. Schön und gut, aber was ist mit den Baum- und Pflanzenrechten? Bei den Tieren hat sich ja glücklicherweise das Recht auf natürliche Nacktheit durchgesetzt. So werden Affen und niedliche Pudel nicht mehr in entwürdigende menschliche Kostüme gesteckt.

Aber wer tritt heutzutage für das Grundrecht der Pflanze auf freie Borke ein? Warum schweigen Brigitte Bardot, Jane Fonda und Renate Künast? Wann weisen sie Anke Domscheit-Berg und ihre Mitstreiterinnen in ihre Schranken? Nützt ein Appell an ihre Vernunft? Oder hilft gegen das ungebremste „Guerilla Tree Knitting“ nur eine Zwangsjacke? Eine selbstgestrickte natürlich!

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kari

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