Die Wahrheit: Im Politikerstreichelzoo
Wer Angst hat, muss auch Basis sagen. Enisso-, Ochlo-, Enochlophobie. Angst vor Kritik, vor Menschenmassen, vor Menschenmengen.
Angino-, Anthropo- und Autophobie: Angst vor Enge, vor Menschen, vor sich selbst. Mit was für Ängsten sich Politiker so herumschlagen müssen. Und da behaupte einer, die hätten keine Eier! Die dummen Wähler wollen immer Volksvertreter zum Anfassen. Wer jemanden anfassen lassen will, sollte sich verlieben oder Kontaktsport betreiben oder ein Bordell besuchen oder gleich einen Erwachsenenstreichelzoo eröffnen. Wenn aber beispielsweise ein amerikanischer Präsident ein Bad in der Menge nimmt, dann bringt er das Bad immer gleich mit: Das sind seine eigenen Sicherheitsleute. Securitymänner wie Zaunlatten. Wer würde da nicht eine Dusche bevorzugen?
Politiker, heißt es, würden sich immer mehr von ihrer Basis entfernen. Von welcher Basis? Von einer Militärbasis? Vom Basislager am Nanga Parbat? Von der Wolkenbasis? In der Mathematik gibt es sogar eine sogenannte Schauderbasis, das ist eine linear unabhängige Teilmenge mit dichter linearer Hülle in der Funktionalanalysis. Aha.
Das Dumme ist nur, dass die sogenannte Basis dauernd sauer ist und ihre Mitglieder ewig lamentieren, Politiker seien nicht bodenständig. Na und? Wer will schon ständig am Boden sein?
Man möchte ja niemandem zu nahe treten, aber rücken einem Politiker nicht schon dicht genug auf die Pelle? Da kann man froh, eine Fernbedienung zu haben. Am besten wäre es beispielsweise, wenn bei Fernsehansprachen von Politikern wie bei Freistößen im Fußball unten eingeblendet würde: "Volksentfernung 34 Meter". Fernsehen - das Gerät heißt doch nicht zufällig so! Und eine Fernbeziehung ist doch auch was Schönes, da kann man sich alle Freiheiten bewahren. Wir alle brauchen dringend einen Sicherheitsabstand von der Politik. Bei Helmut Kohl war das praktisch, der war gleich seine eigene Knautschzone.
Die schöne Rücktrittswelle der vergangenen Wochen, von Koch über Köhler bis zu Rüttgers, ist seit ein paar Tagen wie abgeschnitten. Der ehemalige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wollte nach seinem Rücktritt seinen Chauffeur behalten. Da hob es gleich wieder an, dieses Gejammer, wie abgehoben er sei und so weiter und so fort. Wieso das denn? Der Mann wollte nur einen Chauffeur und keinen Piloten, und der könnte ihn doch auch sonst wohin kutschieren, vielleicht sogar bis an die Malabarküste, denn da wächst bekanntlich der Pfeffer.
Enisso-, Ochlo-, Enochlo-. Angst vor Kritik, vor Menschenmassen, vor Menschenmengen. Angino-, Anthropo- und Auto-: Angst vor Enge, vor Menschen, vor sich selbst. Die Demophobie ist die Angst vor der Gemeinde, vor dem Volk, vor großer Menge. Sie teilt ihre Vorsilbe mit der Demokratie - und dem Verb demolieren. Bei der Demophobie kann es sich auch um eine narzisstische Störung handeln: in Massen das Gefühl zu haben, nur einer von vielen zu sein. Manche empfinden Menschenmengen eben weniger als Belustigung denn als Belästigung. Niemand aber braucht ein Entgegenkommen. In der Politik ebenso wenig wie auf der Autobahn.
Die Politik entfernt sich? Muss nicht mal das Schlechteste sein.
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