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Die WahrheitIm Jahr des Hasen: Weißer Terror

Immer wieder treffe ich in Deutschland auf Leute, die verwundert sind, wenn ich vom Pekinger Winter erzähle...

... Das mag daran liegen, dass sie sich China als exotisches Land denken. In exotischen Ländern, so hat es sich in ihre Köpfe eingebrannt, scheint permanent die Sonne und ist es durchgehend heiß.

Die Sonne scheint in Peking tatsächlich sehr häufig. Doch obwohl die Stadt auf demselben Breitengrad wie Madrid, Sardinien oder Ankara liegt, ist es hier im Winter meistens genauso kalt wie in Berlin oder Warschau. Nur Schnee fällt seltener, denn die Pekinger Winter sind sehr trocken. Deshalb nutzt das hiesige "Weather Modification Center" auch jede Gelegenheit, um es schneien zu lassen. Dazu wird mit Kanonen, die am Stadtrand stehen, Silberjodid in jede etwas vielversprechendere Wolke geschossen, die sich über dem Stadtgebiet blicken lässt. So wird sie "gemolken".

Das ging im letzten Winter leicht daneben. Nach einer Silberjodidattacke schneite es viel mehr als gedacht. Bäume knickten um, der Flughafen und eine Reihe von Ausfallstraßen mussten gesperrt werden. Problematisch war auch, dass man es bereits Ende Oktober schneien ließ. Das ärgerte die Pekinger besonders, weil die offizielle Heizperiode erst am 15. November beginnt. Vorher werden die Fernheizungen nicht angeworfen. Wegen des Schneefalls saßen also viele Leute in ihren Büros und Wohnungen und bibberten.

Normalerweise aber sind die Pekinger von Schneefall sehr begeistert, weil er eben so selten ist. In diesem Winter war der Enthusiasmus besonders groß, denn das Wetterveränderungszentrum hatte erst am 10. Februar Schnee vom Himmel schießen können. Das war der späteste Schneefall in Peking seit sechzig Jahren. Allerdings lieben die Pekinger gar nicht mal so sehr den Schnee an sich. Sie sind nur ganz verrückt danach, ihn sofort wieder aus der Welt zu schaffen. So machten sich denn auch schon am frühen Morgen nach der Schneefallnacht lachende und lärmende Trupps in der ganzen Stadt auf, um dem Schnee mit Besen, Schaufeln und anderem Gerät auf den weißen Pelz rücken. Dabei gehen diese Schneebeseitigungsbrigaden mit großer Gründlichkeit vor. Sie lassen das weiße Zeugs in Kanalisationsschächten verschwinden oder schaufeln es in Windeseile zwischen Büsche und Rabatten.

Sofort wird auch das ganze Salz, das man den lieben langen Winter über für diesen Moment aufgespart hat, auf die Straße geknallt. In diesem Winter lag es auf einigen Straßen so dick, dass der Asphalt auch noch Wochen nach dem Streuen weiß war. Dass das viele Salz den mühsam am Leben gehaltenen Alleebäumen Pekings nicht gerade gut tut, ist den Salzstreuern offenbar egal. Wichtig ist nur, dass man es dem weißen Terror ordentlich gezeigt hat.

Jetzt ist der Schnee fast ausgerottet und es kann endlich Frühling werden. Es sei denn, das undurchschaubare Wetterveränderungszentrum macht uns erneut einen Strich durch die Rechnung, und lässt es noch mal schneien. Der 16. März wäre ein guter Termin. Die Heizperiode endet genau einen Tag zuvor.

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7 Kommentare

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  • HZ
    HU Zei

    Lieber CYS,

    zu der These, schneebefallene Städte (Peking ist glaub ich scho aweng groß) kühlen (in dem Fall mikroklimatisch) aus, kann ich sagen, daß die verminderte Wärmeaufnahme durch Reflektion der Sonneneinstrahlung sogar Eiszeiten vorantreibt! Auch wenn ich da selbst anfangs drüber gestolpert bin. Und sowas hat Effekt, schließlich kann man in Sommerhitze sein Bier in der Stofftasche richtig kalt halten, solang es in feuchtem Tuch gewickelt ist und aweng Wind geht, physikalische Verdunstungskälte ist zwar was anderes, aber so Kleinigkeiten haben tatsächlichen Effekt!

    Aber mal was anderes: die sprühen Silberjodid in den Himmel, um Schneeräumen zu können? In Deutschland verbliebene Hausbesitzer, die diesen Winter echt schneeschippen mußten ohne Ende, würden den Parteiapparat an die Wand stellen dafür! Und kräftig auslachen, naja, oder ohrfeigen. Das ist ja noch irrer als was Du damals aus Singapur erzählt hast, White Christmas mit Hilfe von Seifenflocken. Noch behämmerter sind nur die Skifahrpisten in klimaanlagengekühlten Hallen in Dubai! Na, die wern schon alle sehen irgendwann, was se von solchen geistigen Verirrungen haben..

    Gruß, HU

  • SL
    Sam Lowry

    -Ein Zitat folgt jetzt hier an dieser Stelle (unkenntlich gemacht), da es sich eindeutig um einen Determinismus handelt:

    "In der heutigen Naturphilosophie wird üblicherweise „Determinismus“ spezifischer auf Ereignisse der Natur - oder einen bestimmten Bereich derselben - bezogen. Gestützt wird ein allgemeiner Determinismus zumeist durch die Annahme, dass strikte, nicht-probabilistische Naturgesetze über sämtliche natürlichen Prozesse regieren. Ob wiederum die besten physikalischen Theorien diese Annahme stützen, ist umstritten. Wenn geistige Zustände ebenfalls natürliche Zustände sind, scheint ein Determinismus Probleme für die Realität eines freien Willens zu erzeugen. Ob dieser Gegensatz besteht ist ebenso umstritten wie die jeweiligen Konsequenzen."

    Also, in der Konsequenz gibt es Ärger, wenn man das Problem weiter am Leben hält. Ich würde gerne als Lösungsvorschlag "x=42" in die Runde werfen.

  • C
    CYS

    Danke fuer den Einwurf. Tatsaechlich habe ich schon beim Schreiben ueber diesen Satz nachgedacht. Meiner Erfahrung nach fuehrt eine geschlossene, weisse Schneedecke auch zu einer allgemeinen Abkuehlung, da sie tagsueber die Sonneneinstrahlung reflektiert. So koennen sich der Boden oder Daecher nicht mehr erwaermen, und diese Waerme auch nicht mehr an die Luft abgegeben werden. Das gilt besonders im extrem sonnenscheinreichen Peking. Sollte mich meine Erfahrung allerdings taeuschen, so lasse ich mich gerne korrigieren. Klimaforscher, Meteorologen und Physiker unter den Lesern vor!

  • ST
    Sebastian Thürrschmidt

    "Wegen des Schneefalls saßen also viele Leute in ihren Büros und Wohnungen und bibberten." Es war also kalt, *weil* es schneite? Da hat wohl der elfte Hauptsatz der Thermodynamik zugeschlagen, der da lautet: Nachts isses kälter als draußen.

  • SL
    Sam Lowry

    Also, ich habe mal auf der L509 zischen Landau und Eschbach, etwa Höhe Wollmesheim, Gott persönlich als Anhalter mitgenommen (kein Witz!). Bei weiteren "zufälligen" Treffen kam dann ans Licht, dass er sich eine Haushälterin eingestellt hatte, die sein Bettzeug ausschüttelt und dadurch der Schnee entsteht. Jaja, Verarschen kann er andere... aber die Lottozahlen wusste er und so ziemlich alles andere aus meinem Leben; ziemlich alles ? Absolut alles inkl. der zukünftigen Lottozahlen. Und ich habe das begründete Gefühl, der hat schwarzen Humor. Echt jetzt. Liest bestimmt hier wieder mit.

  • C
    CYS

    Vielleicht weil Jinshanling wesentlich hoeher liegt als die eigentliche Stadt Peking? Falls allerdings grundsaetzlich bezweifelt wird, dass die Wolken mit Silberiodid gemolken werden, hier ein Link zu einem Zeitungsbericht aus der "Global Times" vom 17. Februar: http://beijing.globaltimes.cn/society/2011-02/623873.html

  • F
    flaflahflah

    Wenn der Schnee künstlich erzeugt war, warum hat es dann auch im 150km entfernten Jinshanling noch geschneit?!