Die Wahrheit: Lass ordentlich krachen!
Wie das Potsdamer Lärmunternehmen Dezibel & Deubel unser heimisches Obst vor gefiederten Dieben rettet.
Nach Winterkälte, Trockenheit und Frosteinbruch fallen nun die Stare über die verbliebenen Kirschen her, müssen die Obstbauern hierzulande verbittert feststellen. Bauer Neumann berichtet dem Berliner Tagesspiegel von der Obstfront, dass 500 bis 1.000 Tiere seine Obstanpflanzungen belagern. Da hilft dann auch kein hausgemachter Lärm mit Topfdeckeln mehr, da müssen dann schon Profis ran. Diese versuchten die findigen Obstbauern bereits am 1. Mai mit lockeren Flyern und vollmundigen Versprechungen ("Kirschen satt, bis der Arzt kommt!") bei den Krawalltouristen in Kreuzberg zu ködern, doch die Resonanz blieb gering. Auch über die örtlichen Arbeitsämter kamen lediglich eine Handvoll lokale Krachmacher zusammen, an die sich die Stare vor Ort ohnehin längst gewöhnt hatten.
Ein Paukenschlag auf dem Krach- und Vergrämungssektor war dann die Gründung der Krachagentur Dezibel & Deubel, die ihr Personal ausschließlich aus erfahrenen Knallchargen, Knalltüten und Krawallschachteln rekrutiert: "Da kommen schon einige Jahrzehnte Haft wegen Ruhestörung zusammen!", berichtet Firmengründer Deubel nachdenklich. Das Motto des Potsdamer Unternehmens ist "Krach auf Deubel komm heraus!", ein Konzept nicht für schwache Gehörnerven. Bei den professionellen Krachteufeln gehört das Klappern selbstverständlich zum Handwerk. Tröten und Trillern sind die blasmusikalische Grundierung, die zweite Stimme gehört Ratsche, Rätsche und Schnarre. Darüber liegt der sägende Ton der Vuvuzela, die aus dem Vergrämungsgewerbe seit der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika gar nicht mehr wegzudenken ist. Star unter den Krachschleudern aber ist die 24-jährige Pauline Dehm, die mit ihren spitzen Schreiarien nicht nur Glas zerspringen lässt, sondern ganze Trommelfelle an die Grenze der Belastbarkeit bringt. "Gegen so ein Konzert der Krachdeubel sind die Trompeten von Jericho ein harmloses Blockflötenkonzert", schwärmt Bauer Neumann begeistert.
Zudem ist der ganze Krach noch handgemacht, die neumodischen elektronischen Vogelscheuchen sind nichts für die bodenständigen Obstbauern, die der anfälligen Technik misstrauisch gegenüberstehen. Sie wissen, dass ein Tonsignal bis 50 Meter auf dem elektronischen Krachmachermarkt bereits 34,90 Euro kostet und dass die Raubvogelgeschrei-Variante mit Adler-, Falken- und Eulenschrei dann mit 99,95 Euro zu Buche schlägt. Die Wasserkanone "Tierschreck super" spritzt zwar Vögel nass, ist im heißen Sommer aber eher ein großer Starenspaß.
Und wie stehts um die Wirkung der guten alten Vogelscheuche? Die sind bei den Vögeln äußerst beliebt, denn es gibt wenig Abwechslung auf dem Land, und mit Lumpen bekleidete Strohpuppen voller Streifen von Knistergold und Klappern, die vom Wind in Bewegung gebracht werden, wie der alte Brockhaus bereits im Jahr 1841 vorschlug, haben hohen Unterhaltungswert.
Auch die Kinder mögen Vogelscheuchen, seit im Film "Der Zauberer von Oz" die rührende Vogelscheuche, die so gern Verstand hätte, auftrat. Seitdem sind selbstgebastelte Scheuchen ein Klassiker in Kinderzeitschriften. Die süßen Scheuchen aus kleinen Plastikflaschen, Wackelaugen und Stöckchen dürften die neugierigen Stare aber eher in Scharen anlocken, als sie abzuschrecken. So hilft am Ende dann doch nur die Rückbesinnung auf brachialen Krach, gepaart mit individueller, auditiver Rücksichtslosigkeit. Und genau die gewährleisten Dezibel & Deubel, zwar nicht ganz billig, aber mit der neuen Nachhaltigkeitsformel: "Tinnitusgarantie in einem Umkreis von 10 Kilometern!"
Nur bei den Tauben versagt auch die Kunst der versiertesten Krawallmacher. Gut, dass die kein Obst mögen!
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