Die Wahrheit: Jammerndes Mammut
"Schade, schade …" Nur mühsam kann Günther Meimers seinen leisen Groll zügeln. "Die App funktioniert einfach nicht", jammert der dünne Mann, dem …
… man nicht ansieht, dass er die Sechzig schon weit überschritten hat. Meimers sieht man sowieso kaum etwas an, er wirkt eher wie ein Blatt im Wind, ein Schatten im Flur. Er ist da, aber auch wieder seltsam abwesend. Hat er sich doch ein Leben lang bemüht, nicht aufzufallen. Und vermutlich wäre er das auch nie, stünde er nicht plötzlich im grellen Schweinwerferlicht als Sprecher einer der geheimnisvollsten Verschwörergesellschaften unserer Zeit: Der Deutsche Unterwander-Verein wird 100 Jahre alt, und nicht nur die geplante Jubelfeier scheint schwer auf den Schultern des schmalen Vorsitzenden zu lasten.
Meimers stöhnt schon wieder. "Es will nicht!", klagt er und meint die neue App, die eigens für den Anlass entworfen wurde und heute der Presse vorgestellt werden sollte. Man wolle "auf modernen Wegen die leidenschaftliche Arbeit des Traditionsvereins einer breiten Öffentlichkeit vorstellen", hatte es im Einladungsschreiben geheißen, und nun sitzt Meimers bedrückt da im Vereinshaus am Lietzensee, Charlottenburg, altes Westberlin. Nichts geht. "Tja, die moderne Technik", lächelt er verlegen und wischt mit den dürren Fingern wie geistesabwesend über den Touchscreen.
Dabei ist die Applikation nicht die einzige Sorge der grauen Eminenz. Sein Verband repräsentiert geschätzt 15.000 Mitglieder, genaue Zahlen weiß man nicht. Konspiration und Geheimhaltung haben eine lange Tradition bei den Unterwanderern, die aus allen gesellschaftlichen Schichten und politischen Parteien stammen: "Wir sind überparteilich, überkonfessionell und unabhängig", betet der magere Dunkelmann sein Credo herunter. Nur wer genauer hinsieht, bemerkt das Zucken um die Augen, das beim Wörtchen "wir" sein Gesicht für einen Moment erstarren lässt. Denn mit der beschworenen Einheit ist es nicht weit her.
"Großartig, was die sich wieder für einen Quatsch haben andrehen lassen: eine Vereins-App!", dröhnt Daniel Willmann durch das Café in der Torstraße, Mitte, neues Berlin, Hauptstadt. Willmann nennt sich selbst gern "Unterboss". Jetzt hat er Oberwasser. Den wohlgerundeten Mittdreißiger mit dem Bassbariton, der jeden Postboten vom Fahrrad wehen könnte, kennt hier jeder. Man klopft ihm auf die bärige Schulter und lobt ihn, wenn er lautstark fordert: "Wir brauchen mehr Frauen unter uns." Vor drei Monaten hat Willmann den Bund Deutscher Unterwanderer (BDU) gegründet und ist mit rund 30 Gleichgesinnten dem Deutschen Unterwander-Verein (DUV) beigetreten. "Jetzt sind wir schon 300", frohlockt Willmann und kündigt an: "Bald übernehmen wir den ganzen Laden."
"Das geht doch nicht! Gerade im Jubiläumsjahr", hüstelt Meimers, während er immer noch versucht, die neue App des DUV auf seinem iPad in Gang zu bringen. Doch die stürzt erneut ab. "Wir haben doch unser Erbe und unsere Gepflogenheiten und …" Meimers weiß nicht mehr weiter. Einerseits möchte er seinen Traditionsverein auf die Zukunft ausrichten, andererseits sind die Unterwanderer fest in der Vergangenheit verwurzelt.
"Drei Deutsche: ein Verein - drei Verschwörer: eine Unterwanderung", sagt eine Redewendung. Im Gründungsjahr 1912 entstand der Verein aus abgeschotteten Untergrundzirkeln, in Hinterzimmern der Kaiserzeit. Während der Weimarer Republik wurde besonders kräftig unterwandert, die Unterwanderer erlebten ihre erste Blütezeit, die jäh unter den Nationalsozialisten ein Ende fand, viele Unterwanderer wurden verfolgt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich dann in beiden deutschen Staaten ein "lebendiges Unterwandern", wie es in offiziellen Broschüren heißt. Heute ist das Unterwandern wieder regelrecht hip. Erst vor wenigen Tagen wurde öffentlich gewarnt, dass gerade die Umwelt- und Naturschutzbewegung unterwandert würde. Herrliche Zeiten also für die Unterwanderer - wäre da nicht der Streit im Jubiläumsjahr.
"Nochen Underberg", bestellt Daniel Willmann quer durch den Raum sein Lieblingsgetränk, von dem er mittags bereits vier Fläschchen intus hat. "Alles Quatsch!", wehrt er Vorwürfe ab, er und seine Freunde vom Bund Deutscher Unterwanderer würden den Deutschen Unterwander-Verein unterwandern wollen. "Die kriegn nur nix gebacken, die Schnarchnasen", feixt der rumpelige Willmann und stampft vor Freude mit seinen knorrigen Unterwanderschuhen auf. Unauffällig ist das nicht.
"Das ist es ja", beschwört Günther Meimers die versammelte Weltpresse, sichtlich erfreut, dass ihn endlich jemand versteht. "So … so rabiat, wie die auftreten, kann man doch nichts mehr lautlos unterwandern. Da stirbt das Unterwandern doch aus wie das … das Mammut", malt Meimers den Teufel in den einzigen drastischen Farben, die ihm zur Verfügung stehen, an die Wand. Dann wird er ganz still und starrt wehmütig aus dem Fenster in eine ferne Zeit, als seine große Leidenschaft noch eine Zukunft hatte.
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