Die Wahrheit: Meine Zeit als Höllenfürst
Eine Zeit lang hielt man mich für den Teufel. Bis heute ist es mir schleierhaft, wie es dazu kommen konnte. Doch mir gefiel dieser Ruf. Nirgendwo brauchte ich anzustehen.
E ine Zeit lang hielt man mich für den Teufel. Bis heute ist es mir schleierhaft, wie es dazu kommen konnte. Zwar ist es richtig, dass ich in jener Zeit wegen einer hartnäckigen Entzündung in der großen Zehe ein wenig hinkte, doch nicht jeder Lahme, der zu seinem Krankengymnasten humpelt, wird von den entsetzten Passanten ja gleich für den Leibhaftigen gehalten.
Doch mir gefiel der mysteriöse Ruf, der mir in diesen Wochen anhaftete. Nirgendwo brauchte ich anzustehen: beim Bäcker, Metzger, Gemüsehöker – überall spritzten die Leute, die vor mir an der Reihe gewesen wären, auseinander, kaum dass ich den Laden betrat.
Sie keuchten: „Guten Morgen, Euer Lordschaft, prächtig sehen Sie heute aus!“ und ähnlich unterwürfigen Kokolores. Manche legten sogar ihre Jacken vor mich hin, weil der Fußboden feucht und rutschig oder schmutzig aussah, und wahrscheinlich hegten sie lange die Hoffnung, durch diese untertänige Huldbezeugung später einmal mildernde Umstände für irgendeine lächerliche Verfehlung aushandeln zu können.
Ich wurde in der Straßenbahn von den Fahrkartenkontrolleuren geflissentlich übersehen und durfte mich wochenlang an einer überirdischen Stille erfreuen, da niemand in meinem Viertel es wagte, Rasen zu mähen oder seinen Fiffi zum Bellen in den Garten zu schicken.
Die größte Genugtuung aber empfand ich, als mich mein alter Französischlehrer anrief. Über dreißig Jahre war es her, dass mich dieser üble Patron doppelstundenweise gepiesackt hatte – jetzt bat er mit piepsender Greisenstimme um Vergebung. Ich ließ ihn reden, minutenlang, dann sagte ich: „Non, Monsieur, es gibt kein Pardon. Wir sehen uns in der Ewigkeit!“
Etwas lästiger waren die kleinen dicken Pfarrer, die mich auf der Straße mit erhobenem Kruzifix umschwirrten. Sie kreischten: „Hebe dich hinweg, Satan!“, und hofften wohl, dass ich – vom Entsetzen über ihren furchterregenden Angriff gepackt – raketengleich Richtung Weltall davonschießen würde. Doch weil das nicht geschah, ich sie finster fixierte und mit dem Ausruf: „Buh!“ entschlossen auf sie zuschritt, rannten sie im nächsten Moment schon schreiend davon, was die Umstehenden stets mit Applaus quittierten.
Weit störender als die Gottesmänner waren die vielen Fans, die mir ihre Dienste antrugen. Ständig belagerten mich durchgedrehte Physikstudenten, die mir anboten, den Globus in meinem Namen mit einer neuartigen Laserwaffe in salamidünne Scheiben zu zersägen, und jeden Tag traten drei oder vier blasse Kommunalpolitiker an mich heran, die mir ihre Seele für ein paar Jahre als Bundespräsident überschreiben wollten.
Insofern war ich nicht unglücklich, als sich die Berichte über einen Passauer Zimmermann häuften, der angeblich einen schwefligen Körpergeruch verströmte. Binnen weniger Tage waren alle Pfarrer, Physikstudenten und Kommunalpolitiker nach Niederbayern abgereist, und ich war froh, endlich wieder durch die Stadt stromern zu können, ohne ständig eine von diesen hässlich schmutziggrauen Seelen zum Kauf angeboten zu bekommen.
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