Die Wahrheit: Tränen im Regen
Batman und Co. nach dem Monsterhurrikan.
Zwanzig Milliarden Dollar Schaden und ein paar Tote gehen auf Hurrikan „Sandys“ stürmische Kappe. Die USA scheinen noch einmal mit zwei blauen Augen und einigen Schürfwunden davongekommen zu sein. Doch während der Ruhe nach dem Sturm offenbart sich die eigentliche Katastrophe: Amerikas Superhelden sind in Not.
Rund um die Uhr haben sie in den letzten Tagen ein ums andere Mal ihr Leben aufs Spiel gesetzt, Menschen gerettet und Bösewichte, die die Gunst der stürmischen Stunde nutzen wollten, in Schach gehalten. Nun sitzen sie erschöpft mitten in New York, in einer eilig eingerichteten Notunterkunft, und blicken ausgebrannt und apathisch zu Boden.
„Wir können und wollen nicht mehr, wir fühlen uns leer und ungeliebt“, erklärt ein verschnupfter Batman mit gebrochener Stimme und gesenkten Fledermausohren. Er und seine Kollegen, die einstigen Symbole der amerikanischen Freiheit und des unermüdlichen Kampfes für das Gute, fristen unbemerkt von der Öffentlichkeit ein jämmerliches Dasein.
„Wir haben kein Geld für eine Imagekampagne, wie sie große Unternehmen oder irgendwelche Politiker gerade fahren“, fügt Batman hinzu und schnäuzt sich in seinen schwarzen, mittlerweile löchrigen Mantel. Wollte noch vor zwanzig Jahren jedes zweite amerikanische Kind nach der Schule selbstloser Superheld werden, sieht es heute anders aus. Moderne Kinder streben nach einer Zukunft als Superstar, Investmentbanker oder Drohnenpilot.
Unregelmäßiger Schichtdienst, aus der Mode gekommene einteilige Arbeitskleidung und eine unsichere bis nicht vorhandene Bezahlung machen den einst so beliebten Beruf heute zum Ladenhüter. Inzwischen ist „Du Superheld!“ bei den unter 18-Jährigen zum Schimpfwort Nummer eins auf den Schulhöfen geworden.
„Da fragt man sich schon, warum man sich das überhaupt noch antut“, nuschelt Spiderman, während er frustriert ein Schälchen lauwarme Suppe auslöffelt. „Neulich habe ich ein unschuldiges Kätzchen vom Dach eines Kindergartens gerettet. Danach haben die Kinder mich und mein Superheldenkostüm als ’voll schwul‘ beschimpft und gedroht mich zu verprügeln.“
„So etwas geht an die Substanz, ich spreche da aus eigener Erfahrung“, verrät Batman und erklärt, dass auch ihm statt Höhenluft seit einiger Zeit ein eisiger Wind ins Gesicht weht. Weibliche Umweltaktivisten forderten ihn kürzlich vor laufenden Kameras barbusig dazu auf, sein Batmobil nur noch mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Alles andere wäre testosterongesteuerter Klimawahnsinn.
„Haben Sie Spitzbuben wie Joker schon mal mit einem Solarmobil verfolgt, in der Nacht? Lächerlich!“, schimpft Batman kopfschüttelnd und verrät, dass er sich tagsüber kaum noch auf die Straße traut. „Ich weiß, dass das paranoid klingt, aber ich habe Angst, hinter der nächste Ecke von einer nackten Öko-Aktivisten angegriffen zu werden“, erklärt er zitternd.
„Die Behörden machen uns wahnsinnig“, pflichtet Superman ihm bei und zeigt ein an ihn adressiertes Schreiben der amerikanischen Luftfahrtbehörde. Per Anordnung darf er nachts nur noch zu bestimmten Uhrzeiten fliegen, Heldentat hin oder her.
„Fuck you“, stöhnt im selben Augenblick Spiderman, der eine SMS erhalten hat. „Der Präsident will, dass ich noch schnell etwas Spektakuläres in einem der überschwemmten New Yorker U-Bahn-Tunnel mache, von dem er wahlwerbetechnisch profitieren kann. Wenn nicht, streicht er mir die Krankenversicherung.“
Ein Raunen geht durch den Raum. Offenbar ist es nicht das erste Mal, dass jemand eine Nachricht vom Präsidenten bekommt. „Das ist mittlerweile traurige Gewohnheit, wir sind nur noch Puppen in den Händen der Macht“, verrät Batman mit belegter Stimme und nimmt Spiderman fest in den Arm.
Eine Träne rinnt das blauschwarze Cape hinab, und jeder Betrachter der herzergreifenden Szene ahnt in diesem Moment: Die Ära der Superhelden ist endgültig vorbei. All ihre Herrlichkeit wird verloren sein in der Zeit – so wie Tränen im Regen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt