Die Wahrheit: Wallfahrt zum großen Autor
Eines Tages lesen wir in einer großen Tageszeitung von einem Autor, der nach eigenem Bekunden sofort einschläft, wenn er das leere Blatt vor sich liegen sieht.
E ines nicht näher zu bezeichnenden Tages lesen wir in einer großen deutschen Tageszeitung von einem Autor, der nach eigenem Bekunden sofort einschläft, wenn er sich an seinen Schreibtisch setzt und das leere Blatt vor sich liegen sieht. Wenn wir den schwer verständlichen, von zahllosen Fehlern wimmelnden Zeitungstext richtig verstehen, lebt der Autor noch.
Dieser Mann ist unser Held, ihn wollen wir besuchen und das Ganze dem Finanzamt gegenüber als Wallfahrt deklarieren. Auf sehr umständliche Weise gelingt es uns schließlich, mit dem Autor in Verbindung zu treten und eine Besuchserlaubnis zu erwirken. Auf noch viel umständlichere Weise reisen wir dann zu ihm an seinen extrem abgelegenen Wohnort.
Die Reise beginnt damit, dass die Anzeigetafel auf dem Bahnsteig unseren Zug zwar nennt, jedoch hinzufügt: „Dieser Zug fällt aus. Bitte nicht einsteigen!“ Wir aber, die wir unbedingt den eingangs erwähnten Autor besuchen wollen, sagen uns: Besser mit einem Zug fahren, der ausfällt, als überhaupt nicht.
Also steigen wir trotzdem ein. Doch der Zug kann nicht abfahren. „Wo ist der Lokführer?“, wird allgemein gefragt. Wir gehen ihn suchen und finden ihn endlich im Kinderzimmer des Speisewagens, wo er Schwerkraftzersetzung lehrt.
Wer diesen Text bis hierher gelesen hat, wird vielleicht bemerkt haben, dass ich mir mit den letzten fünf bis sechs Sätzen einen Scherz erlaubt habe, für welchen ich ausdrücklich um Entschuldigung bitte. Tatsächlich geht es so weiter, dass wir mit einem anderen Zug fahren und eines Tages unserer Ziel erreichen: die Haustür des Autors. Auf dem dazugehörigen Klingelschild steht unter seinem Namen der Zusatz „Dichter schwerster Schamollen“. Wir klingeln nichtsdestoweniger.
Als er uns öffnet, fragt der Autor: „Kommen Sie wegen der Realität?“ Was sollen wir antworten? Später sitzen wir in seinem Arbeitszimmer, und er gesteht uns: „Ich würde gern arbeiten, aber ich habe keine Lust.“ Wir lassen ihn einfach reden und halten ihm Gegenstände, meist papierne, hin, auf dass er sie signiere oder sonst wie vollschmiere.
Dabei spricht er über seine Arbeit: „Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheint ein neues Buch von mir mit dem Titel ’Mein Stuhlgang – eine Erfolgsgeschichte‘. Sichern Sie sich schon jetzt ein Exemplar!“
Gegen Ende essen wir etwas, der Autor beißt sich dabei unabsichtlich in die Hand. So ist er eben. Das bekommen wir schnell mit. Beim Abschied wollen wir wissen, welche seine beiden Lieblingsbücher sind. Er nennt sie uns: „Erstens: ’Das Krisenhähnchen braucht auch dich‘ (Autor egal), zweitens: ’Stummes Braten‘ (Autor ebenfalls egal). Gehen Sie jetzt bitte!“
Das war ein schöner Besuch. Am Bahnhof gibt es keine Schwierigkeiten, vom Zug heißt es, er werde bestimmt nicht ausfallen. Da wir ein großes Erlebnis hatten, kaufen wir uns ein teures Fischbrötchen.
Als wir endlich glauben, jetzt liefe alles richtig, gibt es allerdings schon wieder Ärger: Einer von uns ist Benno, und Bennos Haferkranzfrisur fürs Wettbüro ist noch nicht getrocknet.
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