Die Wahrheit: Abgefeilte Reißzähne
Die blutrünstige Wahrheit über die Schlagervampirin Helene Fischer kommt nach über 400 Jahren endlich ans Licht.
Engelsgleich steht sie im Scheinwerferlicht und strahlt. Helene Fischer, Stargast beim Rheumafest der Volksmusik, hat gerade ihren Auftritt absolviert. Wunderschön wie immer wirkt ihre Fassade! Und keiner im Publikum ahnt: Im Inneren ist sie eiskalt. Helene, die Unnahbare, die Unmenschliche, die Unbarmherzige. Dann geht sie ab, oder besser schwebt sie ab, kaum scheint ihr Fuß den Boden zu berühren.
Sofort springen hinter der Bühne ihre Diener herbei und hüllen ihre Herrin in purpurne Gewänder, setzen ihr eine Rubinkrone auf und geleiten sie zu ihrer pechschwarzen, handgeschnitzten Sänfte. Derweil nimmt sie ihre zarte Mädchen-Maske ab. Darunter kommt ihr wahres grausiges Gesicht zum Vorschein: So würde man sich eher eine 400 Jahre alte Carmen Nebel vorstellen.
Helene schnippt dreimal mit den Fingern, es klingt wie das herabfahrende Messer einer Guillotine, und schon schleppen sich sechs ausgemergelte Lakaien heran, die sie samt Sänfte in ihr gruftartiges Backstage-Gemach tragen.
Ein solches groteskes Doppelleben führt Helene schon seit Jahrhunderten. Denn anders als offiziell behauptet, kam sie nicht 1984 im sibirischen Krasnojarsk zur Welt, sondern schon 1612 in einem Dorf in Transsilvanien – unter dem Namen Helena Draculesca. Aufgewachsen ist sie als ganz normales Bauernmädchen, war jedoch für die örtlichen Verhältnisse von bezaubernder Schönheit.
Genau dieses reizende Äußere wurde ihr schließlich zum Verhängnis, denn der gerade auf der Ostblock-Tournee befindliche Volksvampir Florianus Argentum Ferrum wählte sie zu seiner blutrünstigen Braut und erweckte in ihr die Unsterblichkeit. Schon bald hieß man sie den Schrecken von Siebenbürgen, den Schatten der Karpaten, die Königin der mondlosen Nacht.
Helenes Blutdurst ist seitdem ungestillt, heute noch überkommt sie das Verlangen nach jedem Auftritt. So sitzt sie auch an diesem Abend in ihren schummrigen Backstage-Gemächern auf einem Thron aus abgenagten Knochen und wartet aufs Catering. Ihre Diener führen ein ganz in Beige gekleidetes Rentner-Ehepaar herein, beide um die 70, mit einer Autogrammmappe und einem halben Dutzend Fischer-CDs im Schlepptau.
Langsam treten sie in die düstere Kammer ein und sehen sich vorsichtig um. „Meinst du, hier sind wir richtig?“, fragt die Frau verschüchtert ihren Gatten. „Aber ja doch!“, säuselt es aus der finstersten Ecke herüber, in der man nur zwei glühend rote Augen funkeln sieht. „Meine lieben Fans, kommt nur näher“, flötet Helene mit hypnotischem Tonfall, und die beiden Senioren gleiten wie von einer unsichtbaren Macht gezogen über den polierten Marmorboden. Aus dem Dunkel hört man nur ein kurzes Schmatzen, dann ein Gluckern und dazu ein immer leiser werdendes Stöhnen.
Nun ist es im Backstage-Bereich für einen Moment totenstill. Die blutrünstige Helene hat ihren Trieb befriedigt. Aus den Hälsen der beiden Rentner ragen nur noch ein paar Strohhalme heraus. Selbst beißen kann die Schlagervampirin nämlich längst nicht mehr – sie hatte sich für ihr unschuldiges Image die Reißzähne abfeilen lassen. Seitdem behilft sie sich mit einen kleinem Opfer-Anzapfer und stabilen Trinkhalmen.
Gesättigt schnippt Helene einen Lakaien herbei. „Du da, Wurm! Das nächste Mal gefälligst wieder was Frisches, nicht ständig solche ausgetrockneten Fossilien! Die schmecken furchtbar ranzig.“ – „Ja, Herrin!“, versichert der Diener, wohl wissend, dass junge Opfer bei Veranstaltungen dieser Art schwer zu finden sind. „Vielleicht noch ein Dessert?“, haucht er unterwürfig. Helene nickt. Schon wird auf einem mit Blattgold beschlagenen Wagen ein gutes Dutzend gemischter Hundewelpen herangefahren.
Und während die Karpatenprinzessin einen kleinen Golden Retriever anzapft, kommt auch schon ihr Gemahl, der unsterbliche Vampirfürst Argentum Ferrum, zum Fenster hereingeflattert. „Griaß di Gott, sammer guad drauf?“, entfährt es ihm, doch Helene rollt nur mit den Augen. Das ist nur einer der Gründe, weshalb sie ihm schon seit Jahrhunderten immer wieder zu entkommen versucht.
Wäre sie doch neulich nur mit diesem unheiligen Grafen durchgebrannt! Aber das Schicksal scheint sie auf Gedeih und Verderb aneinander zu ketten. „Florianus, leg endlich deine Bühnentarnung ab!“, schimpft sie. „Verzeih mir, Gnädigste! Rose der Nacht!, flötet er daraufhin. Sie wirft ihm einen Welpen herüber. „Helene, es gibt unangenehme Neuigkeiten. Es hat schon wieder eine Doppelgängerin von dir Ärger gemacht und ist ungenehmigt in Dorfkneipen aufgetreten.“
Helenes Blick verfinstert sich. Wütend wirft sie einen halb ausgetrunkenen Dalmatiner zur Seite. „Meine Sänfte!“, keift sie. Noch in dieser Nacht sollte man am Glockenturm von Hintertupfing ein blutleeres Helene-Fischer-Double baumeln sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
NGO über den Machtwechsel in Syrien
„Wir wissen nicht, was nach dem Diktator kommt“
Sturz des Syrien-Regimes
Dank an Netanjahu?
Unterstützerin von Gisèle Pelicot
„Für mich sind diese Männer keine Menschen mehr“
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!
Trump und Selenskyj zu Gast bei Macron
Wo ist Olaf?
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen