Die Wahrheit: Die Knötterknacker
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Alte-Säcke-Spezial und die Talkshow „Alte Menschen bei Maischberger“.
Runzeln wie ein aufgewühlter Acker. Falten wie Erdspalten, deren Grund kein Auge schaut. Gesicht und Hände tapeziert mit dunklen Flecken. Die Ohren groß wie Pizzateller. Die Nase so lang, dass sie auf dem Boden schleift. Und unten ein Saal, bis an den Rand vollgestopft von einem Publikum, das zusammengenommen kaum so alt ist wie der Greis oben auf dem Podium.
Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst des alten Mannes, der in einem früheren Leben Politiker war und jetzt auf seine späten Tage Frieden, Freude, Anerkennung einsammelt. Die Erinnerung, dass einer wie Helmut Schmidt zu Lebzeiten mit Gift und Galle eingedeckt wurde, ist von der alles fressenden Zeit hinweggeschwemmt worden.
Selbst dass dem hart getackerten Technokraten, Atomfreund, Aufrüstungspolitiker und Reaktionär die Agenda 2010 noch zu weichgespült ist, bringt seinem millionenschweren Ruf keine Löcher bei. Stattdessen ragen er und seinesgleichen – so die unsterblichen Bahr, Genscher, Weizsäcker, die beiden Vögel Hans-Jochen und Bernhard usf. – wie Stein gewordene Saurier in die Gegenwart, in der die Bürger auf ihre Regierung von unten herabschauen und nachwachsende Politiker nur mit einem fetten Schmunzeln ernstzunehmen sind wie Philipp „Minzi“ Rösler, Karl-Theodor zu Guttenberg, der über sich selbst stolpert, David McAllister, der sich selber stilllegt – oder die wie Sarah Wagenknecht zwar immer recht haben, aber stets die falsche Partei auf dem Kerbholz haben.
Die Altvordern dagegen ernten metertiefe Bewunderung und machen die fehlende Intelligenz – bekanntlich schrumpelt sie nach der Pubertät von Jahr zu Jahr, bis sie selbst auf der Goldwaage kaum noch sichtbar ist – durch ein Monstrum an Lebenserfahrung wett. Und indem sie einfach dieselben Rezepte auf den Tisch legen, die sie schon immer im Koffer hatten.
Kein einziger frischer Gedanke
Als in der Talkshow „Alte Menschen bei Maischberger“ Richard von Weizsäcker (92) mit den Möchtegernpolitikern Arnulf Baring (80) und Peter Scholl-Latour (88) beisammenhockte und dazu Helmut Schmidt (93) per Video aufs Spielfeld rollte, auf dass sie ihre Meinung über die Schuldenkrise und Europa in die Öffentlichkeit blasen, rückte kein einziger frischer Gedanke nach vorn auf die Bühne.
Indes, so schmeckt es dem selber an Jahren plump und platt gewordenen Zuschauer. Nur natürlich also, dass die Knacker, statt ruhig durch ihren Lebensabend zu schippern, ihren Senf in die Welt hinaustrompeten. Heiner Geißler (81) durfte Wasser auf die Wogen von Stuttgart 21 gießen.
Kurt Biedenkopf (83), in Sachsen 2002 entmündigt, forderte den Bundesrat auf, den von Merkel neu erfundenen Atomausstieg auszuradieren – wobei ihm nicht der Atommüll, sondern die Sorge um die eigene Endlagerung angelegentlich sein sollte.
Klaus von Dohnanyi (84), Bundesbildungsminister 1972 und längst ein Außerirdischer, wusste zuletzt wie der Teufel aus der Springbox über Betreuungsgeld und Herdprämie prima Bescheid. Egon Bahr (91) wird stets ausgepackt, wenn die langsam abkühlende Erinnerung an die Ostpolitik, Willy Brandt und ihn selbst wieder hochgefahren werden muss, auch gibt er gern den deutschen Außenminister für ein steil nach Weltmacht krähendes Europa. Selbst der böse Helmut Kohl (83), der kaum noch weiß, dass er lebt, pumpft ab und zu irgendwas raus und lässt Deutschland wissen, dass er irgendwas rauspumpft.
Genscher kriegt eben einfach alles mit
Ganz intakt ist noch Hans-Dietrich Genscher (86). Er zieht hinter der Bühne die Kulissen seiner FDP und protegiert als Strippenkönig mal den Lindner, mal den Brüderle, mal den Rösler, je nachdem, wer gerade die Hosen anhat, denn als geborener Liberaler hat Genscher seinen Zinken stets im Wind hängen.
Zuletzt, im gerade abgewickelten April 2013, warnte er sensationell vor einer Zerbröselung Europas und des Euros. Ja, Genscher kriegt eben einfach alles mit und hat immer eine garantiert selbstgebackene Meinung parat, die die Allgemeinheit bereichert.
Der wahre Altmeister ist selbstredend Helmut Schmidt. Seit der ehemalige Bundesweltkanzler nichts mehr zu sagen hat, kriegt er den Mund nicht mehr zu. Zum „größten lebenden Vorbild“ und „weisesten Deutschen“ seit Anbeginn der Zeiten gesalbt, begehrt eine dicke Mehrheit, von ihm regiert zu werden.
Der gefühlte Bundespräsident, Weltökonom des Universums und einziger Seher unter lauter Tauben gilt in Moral und Klarsicht als unsinkbar; Bevölkerung wie Journalisten huldigen auf den Knien ihres Herzens einem Manne, der als Bewunderer des Bluthunds Gustav Noske und Oberleutnant der Wehrmacht zu Recht den Hanns-Martin-Schleyer-Preis 2013 in die sauber frisierten Hände bekam.
Helmut Schmidt kann einem piepegal sein. Aber im Zuge der demografischen Verelendung werden immer mehr Alte die Radieschen von oben begucken. Sie werden den Jungen die Luft zum Atmen sauer machen, sich aber von ihnen füttern lassen und wie Walter Scheel (93) fordern, „dass unsere alten Menschen mehr Würde und Anerkennung erleben. Eine zentrale Rolle würde dabei der Jugend zufallen“, die ja nichts lieber tut, als Saurierhaut zu streicheln. In diesem Sinne: Jugend ahoi!
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