Die Wahrheit: Superheld rasiert
Superman war, im Gegensatz zu meiner Mutter, früher einer meiner Lieblingshelden. Ich hatte noch mehr.
Meine Mutter und Superman sind soeben fünfundsiebzig geworden. Beide haben einiges gemeinsam. Sie hatte ein Supergehör, das allerdings in den letzten Jahren weniger wurde. Vorher aber hörte sie das Gras wachsen, besonders wenn man es rauchte. „Sech eis, haschest du?“, fragte sie mich dann gern. Damit ist „unser Ilse“ auch die Erfinderin des Verbs „haschen“.
Ilse hatte auch einen Röntgenblick wie Superman, mit dem sie meine Zigaretten fand, als ich dreizehn war. Und sie war ähnlich unverwundbar wie Superman. Es gab nur einen Stoff, der sie umhaute wie Superman das grüne Kryptonit, und das war klarer Korn.
Superman war, im Gegensatz zu meiner Mutter, früher einer meiner Lieblingshelden. Ich hatte noch mehr. Der jüngere Bruder meiner Mutter war damals „vorm Bund“ abgehauen nach Berlin. Wer in West-Berlin lebte, wurde nicht zum Wehrdienst eingezogen. Mein Onkel vertrieb sich in seiner kleinen Junggesellenbude die Zeit mit Comics. Was er durchgelesen hatte, schickte er dann wenige Wochen später als Care-Paket zu mir. Meine ganz spezielle Luftbrücke.
Von meinem Taschengeld kaufte ich mir dann Superman und Batman. Marvel-Comics mit den Fantastischen Vier, Hulk und X-Men kamen für mich zu spät – zu viele Fähigkeiten. Gestaltwandlungen wie in den Mythen arktischer Völker, aber ohne deren Zauber. Ich brauchte den Helden in seiner Verletzbarkeit, ohne dass die Haut vom Cape geschützt war wie bei Batman oder ohnehin unzerstörbar wie Superman. Darum war einer meiner Held auch Akim. Noch besser war nur Tibor. Beide sind Tarzan-Figuren. Nackt bis auf den Lendenschurz, unbewaffnet bis auf das Messer, mit einem mörderischen Bizeps.
Ich war Tibor. Der Tibor von Westfalen. Der Tibor von Kutenhausen. Ich rief die Elefanten herbei und erschreckte Gnus und Hyänen. Wie das klang, hatte ich bei Johnny Weismüller und Ron Ely in unserem ersten Grundig-Fernseher gesehen, gehört und gelernt: „Oooiiiaaa-iiiaooooh-iiiaah-iiioooh!“
Bei dem Tarzanschrei flüchteten Ostwestfalens Regenwürmer und Hühner vor mir. Die Käfer stoben beiseite. Und aus dem Haus rief Tibors Mutter: „Bernd! Wenn du nich gliecks stille bist, denn gift datt watt. Watt schürt de Lüe denken? Ett is middach. De wellt schloapen!“
Nun hat allerdings Superman trotz aller Fähigkeiten ein Problem: seinen Bartwuchs! Superwoman, meine Mutter, übrigens nicht. Welche Klinge aber rasiert den Unzerstörbaren? Etwa Gillette? Denn die Rasierklingenfirma stellte jetzt zum 75. Geburtstag des Helden die große Frage im Internet: „How does he shave?“ Eine Frage so unnütz wie de Maizières Erklärungen zum Euro Hawk. Superman schaut nämlich in einigen Folgen mit seinem Laserstrahl in einen Spiegel und brennt sich mit dem reflektierten Strahl die Bartstoppeln weg. So viel zur Qualität guter Spiegel. Welche Blamage aber für Gillette. Man hätte für die Kampagne die Hefte auch mal lesen müssen! Intelligenz ist, wenn man weiß, wo es steht. Und über die Rasur von Superhelden stand wohl nix in Wikipedia.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!