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Die WahrheitTrampen auf russisch

Kolumne
von Joachim Schulz

Es donnerte, und eine tintenschwarze Gewitterwolke verschlang den Himmel. Wir blickten uns panisch um ...

E s donnerte, und eine tintenschwarze Gewitterwolke verschlang den Himmel. Wir blickten uns panisch um, aber wir wussten ja seit Stunden, dass nirgendwo in Sichtweite ein Haus stand. „Toll“, sagte ich, als mir die ersten Tropfen auf den Kopf klatschten, „wenn wir erst mal pitschnass sind, nimmt uns erst recht keiner mehr mit.“

Doch Raimund blieb stoisch am Straßenrand stehen und meinte, dass wir doch gute Chancen hätten, wieder trocken zu sein, wenn der nächste Wagen vorbeikomme, da in dieser gottverlassenen Gegend ja sowieso nur alle zwei bis drei Stunden ein Auto auftauche.

Er war morgens mit seinem alten kreischorangen Gestängerucksack bei mir aufgekreuzt. „Lass uns mal wieder losziehen“, sagte er: „Den Daumen raushalten und ab in den Süden!“ Ich seufzte. Ich hatte zwei Wochen frei und wollte meine Wohnung renovieren. „Raimund“, sagte ich, „kein Mensch nimmt uns noch mit: Zwei fünfzigjährige Tramper gelten nicht als sympathische Abenteurer, sondern als Versager, die sich kein eigenes Auto leisten können.“

Doch Raimund kann sehr überzeugend sein. „So, jetzt zeig ich dir, dass ich nichts verlernt habe“, sagte er, als wir das Gelände der Autobahnraststätte am Stadtrand betraten. Tatsächlich hatte er uns im Nu einen Lift besorgt: Er hielt einem Mann, der vor seinem Wagen stand, den Daumen hin, und der Mann nickte. „Nach Süden?“, fragte Raimund.

Der Mann nickte wieder und bedeutete uns, im Fond Platz zu nehmen, während er sich hinters Steuer setzte. Das schien allerdings seinem Beifahrer nicht zu gefallen, der sofort in einer fremden Sprache zu schimpfen begann. Der Fahrer indes ließ sich nicht beirren: Er schlug die Tür zu und fuhr, gleichfalls in dieser fremden Sprache schimpfend, los.

So brausten wir, eingehüllt in eine Beschimpfungswolke, dahin. „Was sprechen die beiden, Russisch?“, flüsterte ich. „Keine Ahnung – Hauptsache, sie bringen uns in den Süden“, erwiderte Raimund. Plötzlich aber schwiegen sie. Der Fahrer zuckte die Schultern und bog von der Autobahn ab. „Nein, stopp!“, riefen wir, doch die beiden reagierten nicht.

Wir gurkten durch eine menschenverlassene Gegend, blieben schließlich stehen. „Raus!“, brummten sie, zerrten uns samt unserer Rucksäcke ins Freie und ließen uns zurück: Irgendwo im Nirgendwo, wo stundenlang kein Wagen vorbeikam und schließlich auch noch ein Gewitter über uns hereinbrach.

Als der Regen schwächer wurde, tauchte in der Ferne ein Auto auf. Raimund gestikulierte wild, und das Fahrzeug hielt tatsächlich. „Das gibt’s doch …“, stammelte ich, aber schon sprangen zwei junge Männer heraus, hielten uns erst zwei Polizeimarken, dann zwei Pistolen vor die Nasen, tasteten uns ab und ließen sich unsere Ausweise geben.

„Das sind sie nicht, das sind nicht mal Russen!“, sagte einer von ihnen, und so hetzten sie zurück zu ihrem Auto und brausten davon, während der Regen wieder zunahm und Raimund ihnen verzweifelt ein paar Schritte nachlief und kreischte: „Doch! Wir sind Russen! Druschba! Nastrowje! Nehmt uns mit!“

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