Die Wahrheit: Der Kettenwortkritikpunkt
Was andere Nationen an den Deutschen fürchten, ist die fiese Sprache. Vor allem sind es die Komposita, mit denen wir Schreckenspunkte sammeln können.
W ir Deutschen fallen ja ohnehin gern der Welt auf die Nerven. Auf dem internationalen Basar bieten wir den erstaunten Nachbarn in unserem Laden Musterschülermentalität zum Selberpflücken, Vorturnervideos, auf Hochglanz poliert, und statt Wechselgeld setzt es Gratisbelehrungen. Da will ich selbstverständlich hinter meinem Volk nicht zurückstehen: Aufgemerkt – was die anderen wirklich an uns fürchten, ist unsere fiese und gemeine Sprache.
Ja, sie ist eine Halskrankheit; ja, Mark Twain hat alles Nötige über den Satzbau gesagt; und ja, der Konjunktiv zwönge noch jeden Sprachschüler in die Knie. In meinem eigenen Laden beschäftige ich übrigens eigens einen Konjunktiv-Berater für Notfälle.
Aber vor allem sind es die Komposita, mit denen wir Schreckenspunkte sammeln können. Die Alliierten schauen fassungslos zu, wie wir den Westwall aus verketteten Substantiven neu erschaffen. Ganz oben auf meiner Hitliste steht derzeit das „Endlagersuchgesetz“. Wurde es auf einer Gesetzbezeichnungssuchkommissionssitzung gefunden? Gab es danach womöglich einen großen Gesetzbezeichnungsfindungsbeschlussausschusserfolgsempfang? Und ist „Endlagersuchgesetz“ nicht sowieso nur ein hochgestochenes Etikett für eine gnadenlose Verarsche, deren Wege direkt nach Gorleben führen, weil Süddeutschland einfach geschicktere „Nicht hier!“-Politiker bzw. Standortattraktivitätssicherungsfürsprecher hat? Ja? Warum beschwert sich denn dann keiner?
Es gibt auch harmlosere Varianten des Kettenworts, zum Beispiel den „Aktionskronkorken“. Während der Aktionskronkorkenaktion lauert in jeder millionsten Flasche Bier, die der Aktionskronkorkenaktionsteilnehmer leert, ein toller Gewinn. Ich habe mal eine tote Maus in einer Flasche gefunden.
Ein weiterer Spitzenkandidat: „Sachstandslage“, ein Dauerbrenner, der vermutlich die Welt kaum noch schmerzt, weil ständiger Kontakt immun macht. Mich nicht. Es soll Menschen geben, die dieses Wort täglich benutzen, sogar schreiben, und sich trotzdem noch nicht in einen Aktenordner verwandelt haben. Diese Bürokratenhinterteilaustrittsöffnungen sind aber nicht mein „Rollenmodell“, um mal ein ursprünglich englisches Kompositum verkehrt zu verwenden, das Journalisten schon seit Jahren anglizismensüchtig und falsch in jedem Text unterbringen. Hört auf damit, bitte! Ich kriege schon Pickel davon.
Kaum noch überraschen konnte mich dann, dass ein Sprecher der Energiewirtschaft von der „Kontaktkommunikation“ schwärmte, die seine Auftraggeber neuerdings mit der Bevölkerung haben, während man bisher immer nur auf randalierende Bürgerinitiativen getroffen sei. Das Wort Kontaktkommunikation umschreibt in diesem Fall die Sachstandslage, dass man Anliegern Geld für die Duldung neuer Stromautobahnen in ihren Wohnzimmern (vulgo: Klappe halten) anbietet, und sie das brav annehmen. Merke: Immer, wenn es etwas zu verbergen gibt, findet sich ein Idiot, der es auf umständliche Weise schönredet. Ist das nicht superkalifragilistischexpialigetisch?
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