Die Wahrheit: Die Insel des zweiten Gesichts
Die Buchungsbestätigungen für Flug, Finca, Leihwagen und Traumstrand waren ausgedruckt. Da kam Vorfreude auf, aber nicht zu knapp.
D ie Reiseverkehrskauffrau verstand mich blind. „Uns steht der Sinn nach kulturell reizvollem, sanftem Individualtourismus in einer veritablen Landschaftsidylle“, hatte ich ihr unsere Urlaubspläne grob skizziert. „Die Insel des zweiten Gesichts“, rief sie wie aus der Pistole geschossen, so als wäre sie wieder in der dritten Klasse und wollte beim Eckenrechnen endlich auch mal gewinnen. „Oder unter uns Kesselflickern … Malle!“
Noch bevor wir uns setzen konnten, waren die Buchungsbestätigungen für Flug, Finca, Leihwagen und Traumstrand ausgedruckt. Da kam Vorfreude auf, aber nicht zu knapp. Und sie wurde noch verstärkt dadurch, dass wir uns als Teil eines kleinen exklusiven Clubs fühlen durften.
Der Pilot verstand sein Handwerk und legte eine butterweiche Landung hin. Wir suchten beim Hinausgehen nach Klingelbeutel oder Untertasse, aber Trinkgelder schienen hier nicht üblich zu sein.
„Sie sprechen aber gut Deutsch“, lobte meine Frau anschließend den Avis-Mitarbeiter mit dem mediterranen Teint, der uns den Wagen aushändigte. „Danke“, sagte er, „ich komme aus Düsburch.“ Der balearische Duisburger zeigte auf den Seat Ibiza. Der war so gut wie neu. Etwas verbrauchter sah dann der circa fünfzigjährige Herbergsvater Tony aus. In der etwas schmuddeligen Arbeitstracht der Einheimischen und mit der schon sprichwörtlichen mallorquinischen Tücke textete er uns zu in seiner unverständlichen Landessprache. Worst case! Beziehungsweise war Polen jetzt offen, aber so was von!
Ich wunderte mich selbst über meine Geistesgegenwart. „Mi casa es tu casa. Arriba, arriba, ándale“, begrüßte ich ihn in der Sprache der Matadore. Und sofort war der Bann gebrochen. Er lachte Tränen vor Freude darüber, dass wir uns so gut verstanden, umarmte mich und schenkte mir frische Eier und Olivenöl, alles selbstgelegt, -gepflückt und -gepresst.
„Costa brava. Hablamos Moltofill!“, warnte er uns mit erhobenem Zeigefinger. „In der Tat, gut, dass du es ansprichst“, antwortete ich. Wir waren natürlich längst beim du! „La cuenta, por favor! Oder um es anders auszudrücken: Wo ist der gottverdammte Pool?“ Er lachte einmal mehr freundlich, nickte wissend und führte uns in den 200-Quadratmeter-Garten. Da lagen schon die anderen sieben Parteien. „Ah, Frischfleisch“, riefen sie spöttisch. Man erkannte uns an den Eiern.
Mallorca ist ein Schmelztiegel. Aus allen Teilen der Erde kommen Sinnsucher, Zivilisationsflüchtlinge und Einsamkeitsfanatiker hierher, um sich ihre jährliche Dosis Arkadien abzuholen und einzupfeifen. Wir fühlten uns auf beinahe schon metaphysische Weise zu Hause in diesem Garten Eden. Nur mit dem Käschern des Pools nimmt der Mallorquiner es nicht so genau. Unsere Besatzung richtete deshalb sofort ein Wasserqualitätskommando ein, ratzfatz ging das. Und am vorletzten Tag setzte ich auch noch den geliehenen Seat gegen den Baum. Einfach nur so. Wir hatten Vollkasko. Man muss im Urlaub alles mal gemacht haben. Malle, du alter amigo! Arrivederci!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen