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Die WahrheitApokalyptisch schnarchender Reiter

Kolumne
von Joachim Schulz

Früher galten Schlafwandler als heilige Geschöpfe. In Wahrheit handelt es sich beim Mondsüchtigen meistens um einen harmlosen Tropf.

F rüher einmal, zu einer Zeit, da unsere romantischen Dichter die Wälder mit Elfen, Trollen und Zauberwichteln bevölkerten und einen zuckrigen Mittelalterkleister über Stadt und Land ausgossen – früher einmal galten Schlafwandler als geradezu heilige Geschöpfe, die, ausgestattet mit einer paranormalen Sensibilität, während der nächtlichen Entrückung mit der Geisterwelt in Kontakt standen: Hörte man sein Eheweib gegen vier Uhr früh somnambul durch die Wohnung schlurfen, hielt man dies für eine formidable Gelegenheit, mit ihrer Hilfe einen Blick ins Nirwana zu werfen oder Verbindung zu Onkel Anton selig aufzunehmen und ihn zu fragen, wo in drei Teufels Namen er den Familienschatz vergraben habe, von dem er zu Lebzeiten immer gefaselt hatte.

In Wahrheit jedoch handelt es sich beim Mondsüchtigen meistens um einen harmlosen Tropf, der sich mit halbgeschlossenen Augen im Bett aufrichtet, drei Schritte durchs Zimmer macht und sich mit den Worten: „Höret die Botschaft der Käsemauken!“ wieder hinlegt, ohne dem Ruf der Mauken zu folgen oder sonst wie Spektakel zu machen.

Versteht sich freilich, dass einer wie Raimund ganz und gar nicht zu dieser harmlosen Sorte gehört. Einmal sollte ich ihn ein paar Wochen lang beherbergen, weil seine Bleibe wegen eines Wasserrohrbruchs unbewohnbar geworden war. Schon in der ersten Nacht wurde ich von einem eigenartigen Rumpeln und Rumoren geweckt, da seinem lunatischen Zwillings-Ich offenkundig die alphabetische Ordnung meiner Bücher missfiel und er sie der Größe nach umsortierte, was dem Regal das gar nicht mal unschicke Aussehen einer Orgel verlieh. Weit weniger niedlich war es da, dass er ein paar Nächte später zu meinem CD-Player wandelte und Wagners „Walkürenritt“ in einer so ohrenbetäubenden Lautstärke abspielte, dass draußen die Autoalarmanlagen anschlugen und die Nachbarn befürchteten, dass gleich eine Hubschrauberstaffel das Haus beschießen würde. Als er schließlich den Küchenfußboden mit Olivenöl schrubbte und ich mir morgens auf dem Weg zum Wasserkocher fast das Genick brach, war meine Geduld erschöpft, und so bat ich ihn, noch ächzend am Boden liegend und vorsichtig meine Knochen sortierend, seine Siebensachen zu packen und die restliche Zeit zu Theo zu ziehen.

Auch Theo wies ihm allerdings schon nach wenigen Nächten die Tür – genauso wie Carlo, Alfons oder auch Mathilda, bei der er tief in der Nacht wie ein schnarchender apokalyptischer Reiter durchs Wohnzimmer preschte, ein langes Fleischmesser über dem Kopf kreisen ließ und, ein befriedigtes Brummen absondernd, die Orchideen auf der Fensterbank köpfte.

So wechselte er in den nächsten Wochen noch häufig das Quartier, bis der Wasserschaden in seiner Wohnung endlich beseitigt war und er des Nachts wieder in Wanderstiefeln auf den Kleiderschrank klettern oder eine moderne Adaption der Höhlenmalereien von Lascaux mit Schuhcreme auf die Flurtapete bannen durfte, ohne sich dafür von verständnislosen Freunden anmeckern lassen zu müssen.

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