Die Wahrheit: Schampus auf Krampus
Heute sind Weihnachtsmänner nur noch „Ho, ho, ho“-brummende Geschenkeverteiler. Früher waren sie noch richtige Männer!
Wer ein gut gegurgeltes „Ho, ho, ho!“ hört, steht gewöhnlich vor einer amerikanischen Haustür, hinter der Santa Claus Einlass begehrt. Das kehlige, tiefe Grummeln des Weihnachtsmanns soll Vertrauen erweckend und professionell wirken. Besonders die eigentlichen Adressaten, die Kinder, werden so in Sicherheit gewiegt, obwohl sie bestimmt gute Gründe hätten, vorsichtig zu sein, bei allem was sie sich im Laufe des Jahres haben zuschulden kommen lassen. Doch das „Ho, ho, ho!“ beschwichtigt, jeder kriegt sein Geschenk von Santa und weiter geht’s – „Ho, ho, ho!“ – zur Nachbartür …
Selbst das Vertrauen einflößende „Ho, ho, ho“ klang einem Weihnachtsmännerverleih in Australien noch zu beängstigend. Der hypersensible Geschäftsführer wies seine Weihnachtsmänner an, die furchtsamen Kleinen mit einem einfühlsamen „Ha, ha, ha!“ zu begrüßen. Keine schlechte Idee, aber als sich ein massiver Proteststurm bei aufgebrachten Besuchern der örtlichen Shoppingmall erhob, ruderte der Geschäftsführer des Dienstleistungsunternehmens Westaff zurück. In Zukunft wird er wohl der einzige bleiben, den Weihnachtsmänner mit einem anzüglichen „Ha, ha, ha!“ begrüßen werden.
Als bei uns die aufmüpfigen Studenten „Ho, Ho, Ho Tschi Minh“ skandierten, war ihnen bewusst, dass ihnen dafür der Knüppel drohte wie ungehorsamen Kindern die Rute. Zu dieser Zeit stand noch kein Weihnachtsmann mit einem „Ho, ho, ho!“ wie ein belfernder Kettenhund vor der Tür. Der weichgespülte Weihnachtsbrauch, Geschenke ohne peinliche Befragung und handfeste Konsequenzen zu überreichen wie in Australien und Amerika, sollte sich bei uns noch lange nicht durchsetzen.
Schließlich leben wir in einem Weihnachtsmännerland, wo die klassische Entscheidungsfrage „Sind’s gute Kind, sind’s böse Kind?“, wie es in Theodor Storms Ballade „Knecht Ruprecht“ heißt, erst einmal verbindlich beantwortet werden sollte. Nach Storm „strolchte“ der dick eingehüllte Mann durch „finstern Tann“: „Von drauß’ vom Walde komm ich her.“ Damit ist der Weihnachtsmann eine Art Survival-Strolch, der durch sein hartes Leben draußen zunächst einmal eine gewisse Gefühlskälte mitbringt in die warme Stube.
Der traditionsbewusste deutsche Weihnachtsmann sollte ergebnisoffen vorgehen: Geschenke? Ja, wenn’s sein muss, aber gern auch die Rute. „Hast denn die Rute auch bei dir?“, fragt er Knecht Ruprecht, der beflissen antwortet: „Ja, die Rute, die ist hier“, heißt es bei Storm.
Drastische Praktiken
Unsere alten Weihnachtsmänner und Nikoläuse hatten alle ihre Gehilfen zum handfesten Strafvollzug: den Krampus, den gefürchteten Swarten Piet oder den nickligen Pelznickel. Besonders schlimme Kinder wurden in die Holzbutte gesteckt und verschwanden auf Nimmerwiedersehn. Das war den gefühlsseligen Amerikanern zu drastisch. Santa Claus entließ die finsteren Hilfskräfte, ließ sich von einer Werbeagentur der Brausefirma Coca Cola ein sanftes rotes Wämslein umhängen und führte schließlich allein mit einer eigenen Liste halbherzige Befragungen durch. „Ho, ho, ho!“ Und die Kinder sackten ihre unverdienten Geschenke ein (Hö, hö, hö!).
Eines aber hätte zu Zeiten eines finster dreinblickenden Krampus niemals passieren können: Dass sich ein veritabler Weihnachtsmann bei seinen kindlichen Klienten mit einem weichgespülten „Ho, ho, ho!“ angebiedert hätte. Ein beiseite gesprochenes „He, he, he“ hätte für Respekt gesorgt. Oder etwa ein selbstgewisses „Har, har, har“, wie wir es von den Panzerknackern kennen. Oder ein hyänenmäßig einschüchterndes „Hiach, hiach, hiach“, das die kleinen Delinquenten angemessen beunruhigt hätte. Während ein kicherndes „Hi, hi, hi!“ zu einer tiefen, gendermäßigen Verunsicherung führen würde. Denn nicht alles ist, wie es scheint. Und was geht das Geschlecht des Weihnachtsmannes ein blödes Kind an, das stammelnd vor ihm steht?
„Ho, ho, holt doch bitte endlich die Po, Po, Polizei, liebe Eltern!“ Har, har.
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