Die Wahrheit: Der homosexuelle Mann ...
… kann nicht gemütlich homosexuell sein, wenn es dem homophoben Nachbarn nicht gefällt. Zuletzt auffällig geworden: der Autor Akif Pirinçci.
D er homosexuelle Mann will nicht auffallen, sich lieber wegducken, nichts weiter als gemütlich homosexuell sein.
Stattdessen zieht derzeit ein ordentlicher Sturm auf in der öffentlichen Meinung. Seit Jahren hat man nicht mehr so viel Böses und Beleidigendes über Homosexuelle gelesen und gehört. Und es sind nicht mehr nur die Ewiggestrigen, die Konservativen, die religiös Verwirrten, nein, jetzt regen sich Leute, von denen man es nicht erwartet, weil man sie für liberal und aufgeklärt gehalten hatte.
Unter dem Mantra „Das wird man ja noch mal sagen dürfen“ kotzen sie jetzt das raus, was ihnen schon lange übel aufstößt. „Mach dein eigenes Ding“, ruft Akif Pirinçci in seinem neuesten Buch mit dem absurden Titel „Deutschland von Sinnen – Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ dem „schwulen deutschen Mann“ zu, „aber belästige uns nicht mit deiner Schwulheit. Danke!“ Pirinçci mag keine Schwulen, ihre Sexualität ist für ihn ein „Nebenprodukt der Natur“ und ihre „hemmungslos promiskuitive homosexuelle Lebensweise“ schließe Ehe und Familienleben grundsätzlich aus.
Dem Wüterich sekundiert sein Verleger Thomas Hoof: „Die schmale Schar der ’Schwulen und Lesben‘ wird derzeit aufgestockt um herbeihalluzinierte Heerscharen von Quer- [sic], Transgender- und Pansexuellen […]. Das alles drängt und treibt in eine wuchernde, aber ziellose Erotomanie, aus der keine Wege ins geschlechterversöhnte Arkadien, dafür viele in die Wartezimmer therapeutischer Gemeinschaftspraxen führen werden.“
Belästigung! Ziellos wuchernd! Ab in die Therapie! Die neue Offenheit der Wutbürger versteckt sich nicht mehr hinter den Rülpsern anonymer Trolle im Internet. Jetzt also ist Akif Pirinçci an der Reihe, der erfolgreiche Autor drolliger Katzen-Krimis. Die notorischen Homo-Hasser wie Broder, Sarrazin oder Matussek haben ihren Nachfolger gefunden. Nun wird Pirinçci durch die Talkshows gereicht und in den Kommentarspalten debattiert werden. So einen lieben die Redakteure, der macht Krawall, der polarisiert, der bringt Quote und Auflage – und der findet Nachahmer.
Die rosa Zeiten sind vorbei, die offene Abneigung gegen alles Homosexuelle ist kein Tabu mehr. Es beginnt die Nach-Hitzlsperger-Ära. Aber was macht der homosexuelle Mann? Haut auf den Tisch? Gebietet Einhalt? Verabschiedet sich endlich von seiner verkackten Strategie der Anpassung? Pustekuchen!
In den sozialen Netzwerken wird ein bisschen gezetert, empört gepostet und verlinkt, und die Berliner Szene streitet darüber, ob der alljährliche Trachtenumzug weiterhin CSD oder künftig Stonewall heißen soll. Und die Promi-Homos? Halten’s Maul wie gehabt. Nur einer, Hape Kerkeling, hat kürzlich – um sein neues Album zu promoten – Kante gezeigt: „Ich finde schrecklich, was da in vielen Ländern an Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt stattfindet.“ Dagegen habe er sich jetzt die Freiheit genommen, den Titel „Feuer“ von Ireen Sheer mit Originaltext zu singen, „quasi von Mann zu Mann“. Mit Schlagern gegen die Pirinçcis dieser Welt!
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