Die Wahrheit: Regina regit Linse
Die Republik ist ein Tummelplatz gekrönter Häupter. Mehr als hundert Majestäten ziehen jährlich in den Werbefeldzug für Wein, Linsen oder Nussknacker.
Voller Neid schauen die Deutschen auf die gekrönten Häupter in anderen Ländern Europas: Auf die berentete Beatrix, die beim wöchentlichen Treffen der Anonymen Royals mit ihrer Hape-Kerkeling-Imitation Juan Carlos zum Schmunzeln bringt, und auf die Queen, die – von den Smiths („The Queen is dead“) einst in den Tod gesungen – die Band aus purer Bosheit um mittlerweile satte 27 Jahre überlebt.
Dabei ist die Bundesrepublik selbst ein Tummelplatz der Klein- und Kleinstmonarchien, ein partikularistischer Flickenteppich, als habe es die Reichseinigung nie gegeben: 131 Royale hauptsächlich weiblichen Geschlechts sind heute in der „Arbeitsgemeinschaft Deutsche KönigInnen“ zu einem Funktionsadel zusammengefasst, der auf dem volatilen Markt der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkte lokale Spezialitäten bewirbt.
In Zwiesel etwa, tief im Bayerischen Wald, kann man mit ein bisschen Glück Glaskönigin Julia Maria Wagenbauer und Glasprinzessin Verena Probst treffen. Wie die Website der Stadt mitteilt, werden sie „bei zahllosen Veranstaltungen im In- und Ausland als charmante Botschafterinnen ihrer Heimatregion“ eingesetzt. Der Kalender nennt zwischen Februar und November 2014 immerhin 13 Termine, an denen man „die beiden Hoheiten“ treffen kann. Zwei davon, die Glastec in Düsseldorf und das Glasperlenfest in der Schweiz, finden von Zwiesel aus gesehen tatsächlich im Ausland statt.
Vier Heideköniginnen gibt es in Niedersachsen, dazu gekrönte Häupter für Spargel, Erdbeeren, Wein und Rhododendron. Verwaist ist dort leider im Moment der Thron der Müdener Schnuckenkönigin. Obwohl der letzten Amtsinhaberin Diemut III. die wohlschmeckenden Heidschnucken in großer Zahl als Brand- oder Grillopfer dargebracht wurden, zog die gelernte Floristin lieber in die weite Welt hinaus. Durch eine kurzfristige Änderung der niedersächsischen Verfassung konnte der Müdener Erbfolgekrieg im Keim erstickt werden. Es entstand lediglich leichter Sachschaden. Unbeirrt von solchen Haupt- und Staatsaktionen, wirbt Wurzelkönigin Alina Kasteinecke im Flecken Bardowick weiter. Aber nicht für Zahnimplantate, sondern für Karotten.
In Berlin fehlt ein Döner-König
In Prenzlau in Brandenburg regiert die Schwanenkönigin, in Sachsen die Nussknackerkönigin, in Hessen die Seerosenkönigin und im Saarland gibt es eine Linsenkönigin nebst Linsenprinz. Die Bollenkönigin von Calbe wiederum wirbt für Zwiebeln und ist vertraglich verpflichtet, bei öffentlichen Auftritten sieben Kleider übereinander zu tragen. Mecklenburg-Vorpommern verfügt wenig überraschend über eine Bernsteinprinzessin und vollkommen überraschend über eine Weinprinzessin. Aufgabe der Weinprinzessin ist es, leere Flaschen an den Strandpromenaden von Binz bis Ahlbeck einzusammeln und mit dem Einkaufswägelchen zum Altglascontainer zu bringen. Schön, wenn sich Nachhaltigkeit und lokales Brauchtum sinnvoll ergänzen.
In anderen Gegenden, wo die Menschen von Bolschewisten und Grün-Alternativen Listen umerzogen wurden, wo es Gesamtschulen und Bürgermeister der Linkspartei gibt, wo mithin niemand mehr den Adel respektiert, springen Gemeine in die Bresche, so in Bremen die Miss Freimarkt oder in Sachsen-Anhalt Kräuterfee Gabiana.
Berlin ist das einzige Bundesland, das keine Königin hat. Dabei könnten ein dicker Döner-König oder eine Sojamilchprinzessin in dieser kulinarischen Wüstenei für ein wenig Leben sorgen.
Auch wenn es als gesichert gilt, dass man mit jungen Frauen von Winterreifen bis Hülsenfrüchte alles verkaufen kann, wachsen für die Arbeitsgemeinschaft Deutsche KönigInnen die Bäume nicht in den Himmel. Gerade in strukturschwachen Gegenden bleiben etliche Häupter ungekrönt. Die Gemeinde Haßleben etwa sucht noch immer nach einer Miss Mastschwein.
Dafür zeigen sich in anderen Bereichen postive Entwicklungen. Die Sondermülldeponie Billigheim im Neckar-Odenwald-Kreis hat gerade eine gut dotierte Planstelle für eine Miss Dioxin ausgeschrieben, die für freundliche Substanzen giftig lächelt. Im Störfall aber auch umgekehrt. Der Rüstungskonzern Krauss-Maffei lässt seine Königsmacher durchs Münchener Umland schweifen, 2015 soll dort die erste Panzerprinzessin gekürt werden. Nicht nur durch die Charmeoffensive der Rüstungsindustrie droht Sigmar Gabriel Ungemach. Auch die Union hat das Popularitätspotenzial derartiger Ehrenämter längst erkannt und die Kanzlerin frühzeitig in Stellung gebracht. Bereits 2001 wurde Angela Merkel in Oldenburg zur Grünkohlkönigin gewählt. Wie es sich gehört, wurde ihr das Amt auf Lebenszeit verliehen. Hofberichterstatter sehen darin ein Signal für mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl 2017.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins