Die Wahrheit: Hemule und Haftinatten
Die Finnenwoche der Wahrheit: Die Mumins sind der wichtigste finnische Exportartikel. Deshalb wissen wir: Mumintal ist überall.
ber Finnland weiß ich, dass man dort depressiv ist oder Alkohol trinkt, vermutlich sogar beides gleichzeitig (Quelle: „Weltwissen kompakt für ahnungslose Kolumnistinnen“).
Das Land ist irgendwie weit weg und immer dunkel und kalt, es sieht aus wie bei Aki Kaurismäki und hört sich an wie die Leningrad Cowboys, nur langsamer. Wenn es hell ist, gibt es auch gleich Schnee, wenn es zufällig hell und warm ist, ziehen Milliarden von Mückengeschwadern zum Kampf in die Luft, dadurch wird es rasch wieder dunkel und also auch schnell wieder kalt.
In Wahrheit ist Finnland natürlich modern, europäisch, wunderschön und voller reizender Finnen und Finninnen. Sie sollen sogar Bücher schreiben, und sie haben wirklich keine Ziegenfüße, außer wahrscheinlich an ihren Ziegen. Das Allerschönste an Finnland aber ist – nein, leider: war – Tove Jansson. Ich war schon als Kind bei den Mumins lesender Dauergast, und heimlich kann ich mir Finnland nicht anders vorstellen als das Mumintal.
Damals war meine Lieblingsfigur die kleine Mü, obwohl ich so groß war wie sie klein. Sie fand in einem Kaffeekessel Platz, ich nicht, und Muminmutters betretener Widerspruch gegen die Besetzung des Geschirrs – „Aber Kind, darin machen wir doch Kaffee“ – konterte sie mit einem logisch einwandfreien: „Nicht jetzt!“
Mü tat jederzeit nur, was ihr beliebte, sie ärgerte, quälte und piesackte alle über die Maßen. Außerdem biss sie gern die anderen Bewohner des Mumintals (auch die Feuerwehr). Es war anstrengend, mit ihr befreundet zu sein, doch die stoischen Mumins versuchten es seufzend. Eine andere Möglichkeit wäre ihnen gar nicht eingefallen; vielleicht ist das der wahre Reiz der Geschichte – ich wollte gar nicht wie Mü sein, ich wollte nur Freunde wie die Mumins.
Inzwischen wirke ich, nach einem mehrjährigen Intermezzo als Snorkfräulein, wahrscheinlich eher wie Muminmutter, die nie ohne ihre Handtasche anzutreffen ist, auch nicht am Herd. Dabei fühle ich mich häufiger wie Mumin, der, wenn er ein Haus baut … aber das sollte jeder selbst lesen.
Selbstverständlich habe ich inzwischen längst Freunde wie die Mumins, geduldige Wesen, die mich in ihrer Kaffeekanne wohnen lassen würden, wenn ich das wollte.
Mumintal ist überall. Auch den gemeinen Hemulen, deren Charaktereigenschaften nur eine Karriere als Polizist oder Parkwächter zulassen, ist jeder schon begegnet. Auf ein Treffen mit den geheimnisvollen, elektrisch geladenen Haftinatten warte ich dagegen noch.
Die Mumins sind klein, nicht gerade nobelpreisverdächtig intelligent, herzensgut und ganz furchtbar tapfer. Zumindest Letzteres haben sie, wie ich hörte, mit den Finnen gemeinsam (Quelle: „Langmütige Freunde ahnungsloser Kolumnistinnen“). Es war vor vielen, vielen Jahren, da griff die übermächtige Sowjetunion Finnland im Winterkrieg an. Die Finnen sollen recht verzweifelt gewesen sein: „O je, unser Land ist so klein, und die Angreifer sind so viele – wo sollen wir die alle begraben?“
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