Die Wahrheit: Tofu aus Fleisch
Ein neuer Lebensmittelskandal schockt Vegetarier: Rund 95 Prozent des weltweit produzierten Tofus bestehen gar nicht aus Soja.
Es ist erst drei Tage her, dass Marina Schönweg zum letzten Mal ohne schlechtes Gewissen in ein Tofu-Brötchen gebissen hat. Beinahe fingerdick hatte sich die 37-jährige Lehrerin aus Freiburg die gräuliche Masse auf die Roggenecke gestrichen und beim Essen zufrieden im neuen DM-Magazin geblättert. „Hätte ich da schon gewusst, was wirklich in meinem Tofu war, ich hätte nicht mal mehr dran gerochen“, sagt sie und fügt mit einem Kopfschütteln hinzu: „Ich war ja so naiv.“
So wie Marina Schönweg geht es in diesen Tagen vielen Vegetariern und Veganern auf der ganzen Welt. Seitdem die britische Tageszeitung The Guardian am vergangenen Samstag ein Interview mit dem Bolivianer Antonio Vargas veröffentlicht hat, kommt die grüne Community nicht mehr zur Ruhe. Rund 95 Prozent des weltweit produzierten Tofus bestünden nicht aus Soja, sondern aus Fleisch, verkündete der bolivianische Feinkosthersteller der erstaunten Weltöffentlichkeit. Das Tier sei zwar bislang nahezu unbekannt, aber weitverbreitet: der Tofu-Trampel.
Seitdem räumt eine Lebensmittelfirma nach der anderen ein: Ja, auch wir haben geschummelt. Darunter befinden sich alle Tofu-Anbieter auf dem deutschen Markt.
Einst wurde Tofu tatsächlich ausschließlich aus Soja hergestellt, aber das Verfahren war aufwändig und teuer, die Gewinnspanne gering. Bis sich der amerikanische Unternehmer John Baldwin 1992 in Bolivien bei einer Bergtour in den Anden verirrte. Die Vorräte waren bald verbraucht. In seiner Not aß er das rohe Fleisch eines merkwürdigen Tieres, das er in einer Höhle gefunden und zur Strecke gebracht hatte. Baldwin stellte fest, dass es nicht nur wie Tofu aussah, sondern auch so schmeckte, also nach nichts.
Als der Bedarf an Tofu in den Nullerjahren zunahm, erinnerte er sich an das Tier, das so aussieht wie ein zotteliger Mops mit den Beinen eines Schafes. Er kehrte nach Bolivien zurück und fand an selber Stelle eine ganze Herde. Seine Untersuchungen ergaben, dass sich der Tofu-Trampel zügig vermehrt und sehr genügsam ist. Außerdem leistet das Tier, das keine Scheu vor Menschen kennt, nicht den geringsten Widerstand und lässt sich am liebsten im Dunkeln halten – sodass es ein Leichtes war, den Tofu-Trampel vor der Welt geheimzuhalten.
Der Beginn der Tofu-Lüge
Seine erste unterirdische Farm eröffnete Baldwin im Jahr 2003. Es war der Beginn der Tofu-Lüge. Sein Tofu war so konkurrenzlos günstig, dass bald auch die anderen Anbieter umsteigen mussten – er überließ ihnen ein paar Tiere gegen eine Lizenzgebühr und das vertraglich festgelegte Versprechen, niemals die Wahrheit auszuplaudern.
Aber dann plauderte doch jemand. Ausgerechnet aus seinem eigenen Unternehmen. Antonio Vargas, stellvertretender Leiter der Abteilung „Tofu-Produkte für Kinder und Senioren“, ertrug die Bürde der Lüge nicht mehr und nahm Kontakt zum Guardian auf. Im Interview beschreibt er nicht nur das ausgeklügelte Schmiergeldsystem, sondern auch, wie sich die Massentierhaltung beim Tofu-Trampel immer mehr durchsetzte. Artgerecht sei es schon lange nicht mehr zugegangen.
Der Skandal schlägt in der deutschen Öffentlichkeit hohe Wellen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe kündigte eine umfassende Untersuchung an. Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, geht das nicht weit genug. „Wir brauchen nichts weniger als einen länderübergreifenden ,Tofu-Gipfel‘“, fordert er gegenüber der taz.
Viele Metzger profitieren indes von den Enthüllungen. „Immer mehr Kollegen erzählen mir, dass Vegetarier zurück in die Metzgereien kämen, da wüssten sie wenigsten, woran sie seien“, berichtet ein Sprecher des Deutschen Fleischerverbandes.
Marina Schönweg hat ebenfalls umgestellt – das betrifft auch den Brotaufstrich ihrer Kinder. „Sie riechen jetzt zwar etwas streng aus dem Mund, aber mit den Schweinemett-Brötchen sind sie in der Pause die großen Stars.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Bezahlkarte
Hundegulasch und Auslandsüberweisungen
Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest
Ab jetzt Party ohne Prügel
Freihandelsabkommen Mercosur
Gegen die Isolation
Privatjet auf Sylt besprüht
Haftstrafen für Letzte Generation – ohne Bewährung
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
„Wrapped“-Marketingkampagne von Spotify
Nicht einwickeln lassen!