Die Wahrheit: Die Rentnerbabys kommen
Männer im angeblich besten Alter, die nochmal Vater geworden sind, gehen mit Kind, Kegel und Möhren-Pastinaken-Brei zusehends auf den Keks.
S ie vermehren sich derzeit wie das Ebola-Virus. Sie überfallen Frühstückscafés in Berlins Prenzlauer Berg, Szeneläden in Münchens Schwabing, Bistros in der Kölner Südstadt. Wenn wir sie nicht hindern, werden sie die urbanen Grenzen bald überschreiten und IS-gleich ihren Schrecken in der Welt verbreiten.
Sie sind männlich, im besten Alter, also irgendwas zwischen fünfzig und fünfundsechzig, und führen stolz ihren neu gezeugten Nachwuchs vor. Sie sind die neuen Väter. Schaut her, was ich noch zustande gebracht habe!, schwitzten sie aus jeder Pore. Schaut, was ich noch kann!
In meinem Lieblingscafé heißen sie Manfred, Walter und Wolfgang. Wolfgang hat sich in den siebziger Jahren noch live mit Rudi Dutschke über Adornos „Kritische Theorie“ ausgetauscht. Darüber diskutiert er heute nicht mehr.
Heute redet er mit Manfred und Walter darüber, wo es den besten Bio-Möhren-Pastinaken-Brei gibt. Oder welche Bilderbuch-App diese Woche bei Amazon im Free-Download zu haben ist. Und dass Chlor im Wasser beim Babyschwimmen ein absolutes No-Go ist. Heute legt Wolfgang den Nachwuchs an die Brust und stillt ihn mangels Masse und Inhalts derselben leicht verschämt mit dem Fläschchen.
Manfred füttert seinen Sohn Sören dagegen mit dem Löffel. Lächelnd schaut er sich um. Seht, zu was mein Fleisch und Blut schon fähig ist! Sören kotzt den Möhren-Pastinaken-Brei auf Papas weißes T-Shirt. Walter kennt ein super Waschmittel ohne aggressive Weißmacher. Wolfgang schwört auf Fleckenpaste von dm. dm ist überhaupt super, der Chef dort ist Anthroposoph und hat gleich sieben Kinder.
Manfred ist froh, dass Wolfgang und Walter so gut Bescheid wissen, und gibt eine Runde Kräutertee aus. Kann er sich leisten, er ist seit vorigem Monat Rentner. Walter tut einen Löffel Zucker in den Tee und lässt Cheriko-Jane den Löffel ablecken. Wolfgang und Manfred sind schockiert und klären Walter auf über die Folgen hemmungslosen Zuckergenusses auf Cheriko-Janes kindliches Immunsystem. Walter nimmt Cheriko-Jane den Löffel weg. Cheriko-Jane beginnt ein ohrenbetäubendes Geschrei.
Eine ältere Dame – ungefähr zehn Jahre jünger als Manfred, Walter und Wolfgang – fragt, ob der Lärm wirklich nötig sei. Walter, Wolfgang und Manfred solidarisieren sich auf der Stelle mit Cheriko-Jane und werfen der Dame brutale Kinderfeindlichkeit vor. Wolfgangs ein bisschen kakaobrauner Sohn Raven fegt den Inhalt von Manfreds Kräuterteetasse über den Schoß der Dame. Als die sich erneut beklagt, ist sich das Triumvirat einig: Das ist nicht nur blanker Rassismus, sondern auch Altersstarrsinn.
Der Streit eskaliert und kann erst von Walters vierzigjähriger Tochter aus erster Ehe, die mit Walters Enkel, der gerade Abitur macht, auf einen Cappuccino reinschaut, geschlichtet werden. Während Walters Enkel seiner zwanzig Jahre jüngeren Tante die Windeln wechselt, erscheint Manfreds Frau mit ihren Eltern, die den gleichen Jahrgang haben wie Walters Tochter.
Plötzlich macht sich bei der Betrachterin eine leichte November-Depression breit.
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