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Die WahrheitDie Rückseite der Republik

Kolumne
von Susanne Fischer

Dienstreisen werden überschätzt. Als Spesenritter trifft man auf die immer gleichen Gruselphänomene in den üblichen Hotels des Grauens.

I n meiner beliebten Reihe „Überschätzte Begleiterscheinungen der Zivilisation“ möchte ich heute vorstellen: die Dienstreise. Wer beneidet sie nicht, die wichtig aussehenden Schlipsträger mit ihren Laptop-Köfferchen, wenn sie mit Fastfood-Tüte und Pappkaffee bewaffnet unter Ellbogeneinsatz den ICE oder das Flugzeug entern? Bezahltes Reisen in der Komfortklasse – das ist ja alles Arbeitszeit, die sie mit Bild-Lektüre und dem Sortieren virtueller Süßigkeiten auf ihren Diensthandys gemütlich abwettern. Noch ein kleines Schläfchen, und dann steigen sie in Fulda wieder aus und sind der größte Controllinghai, den die Welt je gesehen hat. Ist das nicht toll?

Die Wahrheit ist: Man muss es sich schönreden. Meine erste Dienstreise führte mich vor 25 Jahren nach Hildesheim, wo ich stolz ein nicht von mir bezahltes Hotelzimmer bezog, betrunken von nicht von mir bezahltem Wein. So ist das Erwachsenenleben, dachte ich. Man fährt nach Hildesheim! In ein Hotel! Und hat mit wichtigen Leuten gesprochen, gehört quasi dazu!

Inzwischen kriege ich schon Heimweh, wenn ich im Bahnhofsparkhaus das Auto abschließe. Vom Bahnsteig aus betrachte ich wehmütig das Schaufenster der Bahnhofsmission. Sie preist ihren Sonntagsgottesdienst „für alle“ an. Ach, warum bin ich da noch nie hingegangen? Ich bin sicher, dort würde ich glücklich.

Dann trägt mich der Zug durch die Rückseite der Republik: Schrottplätze, Industriebrachen, Recyclinghöfe kann man von den Gleisen aus prima sehen. Besonders im Winter, wenn das Ganze auch noch mit kahlen Bäumen garniert wird. Kann man diese trostlosen Holzgesellen nicht einfach wegräumen bis zum Sommer? Gibt es keinen Dekorationsbeauftragten in diesem Land? Für alles andere ist doch auch immer Geld da.

Fußgängerzone mit Filialisten

Ganz übel sind Reisen durch die Dunkelheit: Heimelig erleuchtete Fenster in Dörfern und Städten. Dahinter leben glückliche Menschen, die niemals auf Dienstreise gehen müssen. Sie lachen und singen den ganzen Tag und kuscheln sich jetzt behaglich in ihre Sofaecken.

Oder im Sommer, die Freibäder – da findet das wirkliche Leben statt, während ich das mir zugeteilte Lebenssurrogat auf Fahrten zu fragwürdigen Meetings und Messen vergeige.

Am Zielort wartet dann zuverlässig die Fußgängerzone mit Filialisten. Kann man die nicht einfach wegräumen bis zum jüngsten Gericht? Mit bösen Vorahnungen betrete ich schließlich das Hotel, an dem jeder Dienstreisende etwas zu meckern hat: rätselhafte Duscharmaturen (gar kein Wasser oder alles direkt ins Gesicht). Unabstellbare Klimaanlagen. Unerklärliche Brummtöne aus der Wand. Ein Teppichmuster wie ein böser Traum. Gespenster im Schrank. Axtmörder im Flur. Und wenn das Zimmer ausnahmsweise in Ordnung ist, kann ich mich immer noch über die anderen Gäste aufregen. Frühstücksbüfettplünderer, dämliche. Gibt es keinen Perfektionsbeauftragten in diesem Land?

Erfreulich bleibt, dass jede Dienstreise irgendwann wieder in der eigenen Sofaecke endet. Schade nur, dass es da so langweilig ist.

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