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Die WahrheitGiftmord an Jagger

Ralf Sotscheck
Kolumne
von Ralf Sotscheck

Bei der Autopsie wurden vergiftete Rindfleischwürfel in Mick Jaggers Magen gefunden. Es kann nur in Birmingham passiert sein.

I ren hatten es noch nie leicht in England. Früher wurden sie beim Eisenbahnbau verheizt, später bei der Arbeit am Kanaltunnel. An vielen Geschäften und Kneipen hingen Schilder: „Zutritt für Hunde und Iren verboten“. Jetzt vergiftet man Iren offenbar in Großbritannien.

Der dreijährige Thendara Satisfaction, Spitzname Jagger, lebte in der Diaspora in Belgien. Nachdem er mit seinen Erziehungsberechtigten Dee Milligan-Bott und Alexandra Lauwers von einer Reise nach Birmingham zurückgekehrt war, brach er tot zusammen. Bei der Autopsie wurden vergiftete Rindfleischwürfel in seinem Magen gefunden. Es könne nur in Birmingham passiert sein, mutmaßt Milligan-Bott: „Es war das einzige Mal, dass wir ihn kurz alleine gelassen hatten. Wir hatten ihn an einer Bank angebunden, weil wir mit seinem Halbbruder Noodle auf die Bühne mussten.“

Noodle sei vermutlich auch das eigentliche Ziel des Giftmords gewesen, denn der hatte bei Crufts den ersten Preis als bester seiner Rasse gewonnen. Noodle und Jagger sind rothaarige irische Setter, und Crufts ist die größte Hundeshow der Welt. Dabei geht es schlimmer zu als bei den Schönheitswettbewerben kleiner Mädchen in den USA, bei denen die Mütter ihre Töchter in enge Kleidchen zwängen, sie wie Filmstars schminken und die Konkurrentinnen mit Gehässigkeiten überhäufen.

Bei Crufts gehen die Hundebesitzer noch einen Schritt weiter. Manchmal platzieren sie eine läufige Hündin neben einen aussichtsreichen Rüden, damit er die Contenance verliert, was Punktabzüge zur Folge hat. Andere schmieren einem frisch gekämmten und gefönten Tier in einem unbeobachteten Moment einen Kaugummi ins Fell. Ein Hund wurde mit Abführmittel gefüttert, so dass er beim Wettbewerb verschissen hatte (okay, fünf Euro in die Kalauerkasse). Und einmal hat jemand einem Tier heimlich LSD verabreicht. Der Hund glaubte, er könnte fliegen, so dass seine Besitzer ihn in einer Falknerei abgaben (noch mal fünf Euro). Aber Mord?

1939 schlichen sich sechs Arbeitslose von der Nationalen Arbeiterbewegung in den Saal und entrollten vor den Punktrichtern Plakate: „Die Hunde sind okay – beurteilt lieber unseren Zustand“. Es gab damals zwei Millionen Arbeitslose in Großbritannien. „Luxus für Hunde – Armut für Menschen“, stand auf einem anderen Plakat. Die sechs Männer wurden eiligst von der Polizei aus dem Saal geführt, weil die Hunde nervös wurden.

Crufts findet seit 123 Jahren statt, vorletztes Wochenende nahmen 21.500 Hunde am Wettbewerb teil. Es geht dort mit Tee und Keksen sehr englisch zu, obwohl knapp 3.000 Hunde aus dem Ausland kamen. Die benötigten einen Sonderpass, denn eigentlich müssten sie nach der Einreise ins United Kingdom für sechs Monate in Quarantäne.

Wäre das nicht ein Wahlkampfthema für die xenophobe United Kingdom Independence Party (Ukip)? Zumal trotz Putin-Boykott ein russischer Scottie Gesamtsieger wurde. Ukip könnte argumentieren, dass Crufts wegen der ausländischen Invasion langsam vor die Hunde gehe (noch mal fünf Euro).

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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