Die Wahrheit: Die Römm-Römm-Raser
„Fast & Furious 7“ führt die weltweiten Kinocharts an. Das große Geheimnis hinter dem Autorenfilm kommt aus einer kleinen Computerfirma in Berlin.
Bereits kurz nach der Premiere Anfang April 2015 stürmte der siebte Teil der Actionreihe „Fast & Furious“ an die Spitze der weltweiten Kinocharts. Überall hängt das Filmplakat, auf dem die Hauptdarsteller in einer Reihe stehen und voller Grimm dumm aus der grauen Wäsche schauen. Aber wohin bloß gucken die gar nicht so glorreichen Sieben? Was spielt sich außerhalb des Bildes ab, dass die muskelbepackten Klotzköpfe und schicken Trullas so zornig glubschen? Und warum ist es „Zeit für Vergeltung“, wie der Untertitel des Krawallstreifens besagt?
Geheime Unterlagen, die uns zugespielt wurden und die wir hier zum ersten Mal der Weltöffentlichkeit präsentieren, verweisen auf die Machenschaften einer kleinen Computerfirma in Berlin-Friedrichshain, die offenbar tiefer ins große Filmgeschäft eingreift, als man bislang ahnte.
In der weitläufigen Fabriketage, die zugleich als Büro- und Wohngemeinschaft dient, treffen wir Peer, einen 35-jährigen Informatiker und Philosophiestudenten. Als Mitbesitzer von „humanhuman“ will Peer unerkannt bleiben, weil er „Angst vor der Vergeltung aus Hollywood“ hat, wie er sagt. Denn sein Unternehmen habe eine einzigartige Software entwickelt, die ganze Filme am Computer erfindet, inklusive Schauspieler. „Wir haben sie alle erschaffen – Vin Diesel, Dwayne Johnson, Paul Walker …“ Unseren Einwand, dass es die Schauspieler doch schon vor den „Furious“-Filmen gab und dass Paul Walker 2013 bei einem Autounfall gestorben sei, wischt Peer kurzerhand beiseite: „Alles inszeniert! Und zwar von uns.“
Dann erzählt Peer, der wie viele junge Männer heute einen struppigen Hordenbart trägt und beim IS oder bei Dolce & Gabbana arbeiten könnte, dass alles anfing, als eines Tages das Babelsberger Filmstudio sie an Hollywood vermittelte. Damals hätten die Amerikaner einen Weg gesucht, Action-Stars aus der Retorte zu erschaffen, und „humanhuman“ hatte gerade ein Programm entwickelt, bei dem aus realen Menschen Kinocharaktere entstehen. Die Software analysiert sämtliche Interaktionen und nimmt Gewohnheits- und Stimmmuster, um diese Merkmale durch Algorithmen auf ein Simulacrum zu übertragen, das zum exakten Gegenteil seines Schöpfers wird.
Verschlunzte Schluffis
„Wir haben nach unserem Vorbild sieben Charaktere erschaffen, von denen jeder ein Alter Ego ist. Alles ist von uns umgewandelt worden – das Vorleben, selbst die Körper und das Aussehen“, behauptet Peer, der jetzt seine Urmodelle vorstellt: „Der Jonas ist der Vin, ich bin der Dwayne, der Jörn ist der Paul, und dann sind da noch die Tina, die Maggie, der Heini und der Frederick.“ Und da hocken sie nun in ihrer verranzten WG und sehen tatsächlich komplett anders aus als die Besetzung der Bleifußsaga, sieben zugewucherte und verschlunzte Schluffis in ihren ungestählten Körpern.
Größer könnten die Gegensätze nicht sein: hier die glatzköpfigen Brutalos in ihrer graublauen Actionwelt, dort die matratzendicht behaarten Nerds auf ihrem bunten WG-Sofa. Hier ein explosives Automärchen, das quer durch alle Welt führt, dort ein bewegungs- und reizfreies Stillleben in der Studentenbude.
Da ist zum Beispiel „der Frederick“, ein 29-jähriger angehender Germanist mit einem beeindruckenden Afroturm auf dem Kopf, der meint, es habe „nur uns, einige Rechner, zwei Kästen Bier und 20 Gramm Gras“ gebraucht, um Vin Diesel zu erzeugen. „Der kann sowieso nichts als Action. Glauben Sie, jemand könnte mit nur einem einzigen Gesichtsausdruck eine Karriere starten? Nicht mal in Hollywood!“ Unseren Einwurf, es gebe doch Til Schweiger, kontert Peer genüsslich: „Til Schweiger? Den haben wir auch gemacht!“
Aber ist es nicht das Wesen des Actionkinos, geben wir zu bedenken, dass es nur aus reiner Aktion besteht? Warum irgendetwas passiert, ist völlig egal. Die Handlung ist Mumpitz und ergibt sowieso keinen Sinn. Hauptsache, es kracht und knallt und blinkt und blonkt so vor sich hin.
„Das ist es doch, was so nervt“, nörgelt Peer, „nichts als Männer, Muskeln und Motoren. Wer will denn diese hormonigen Glatzköpfe in ihren Römm-Römm-Kisten noch sehen?“ Und dann erklärt der hippe Nachwuchsphilosoph, warum das Auto längst nicht mehr das Sehnsuchtsobjekt seiner Generation sei. Neueste Umfragen unter Jugendlichen hätten ergeben, dass sie eher aufs Automobil als aufs Internet verzichten würden.
„Das muss sich doch im Action-Genre niederschlagen! Schauen Sie sich den neuen Streifen mal genauer an. Es gibt sieben Handlungsorte: London, Washington, Los Angeles, Tokio, aserbaidschanisches Kaukasusgebirge, Vereinigte Arabische Emirate und die Dominikanische Republik. Dann sieben Bewegungsmuster vom Autorennen bis zur Fahrt in den Sonnenuntergang bei der End-Emo. Und dann sind da die sieben Guten: Vin Diesel, Paul Walker, Dwayne Johnson und so weiter – also dreimal sieben. Das ist kein Glücksspiel, das ist exakte Wissenschaft. So wie die 666 die Ziffer des Teufels, so ist die 777 die Ziffer Gottes, verstehen Sie?“ Wir alten Auto-Unkundigen aber verstehen nur Bahnhof.
Sieben Zeichen
„Wir wollten diese stumpfen Typen im siebten Film endlich weiterentwickeln“, führt Frederick weiter aus. „Und der Funke ist auch bei denen übergesprungen. Die haben die versteckten Siebenerzeichen im Film echt verstanden. Doch dann haben sie sich gegen uns gewendet.“ Denn wie alle künstlichen Kreaturen wollten auch sie wissen, wer ihr Erzeuger ist. Sie hätten sich auf die Suche begeben. Und der Film sei das Abbild ihrer Reise zu sich selbst. Weil sie aber niemanden gefunden hätten, würden die Sieben auf dem Filmplakat so grimmig gucken, glaubt Frederick, der nun seinen Joint ausdrückt.
Dann hätten wir es hier also mit einem „Gottesproblem“ zu tun? Die Kreaturen wenden sich gegen ihre Schöpfer und erklären Gott für tot? „Genau!“, jubelt Peer, „jetzt haben Sie es kapiert!“ – „Die Sieben waren schon ganz nah an uns dran“, ergänzt Frederick. Über „dunkle Kanäle“ sei die wahre Identität ihrer Friedrichshainer Erzeuger fast verraten worden. Einmal habe sogar ein Rocker an der Tür der WG geklingelt, berichtet „der Jörn“ schaudernd.
„Irgendwann werden sie uns kriegen“, vemutet Peer, „die haben irre viel Power und vor allem Geld.“ Wenigstens das stimmt an der Räuberpistole, denn seit dem Filmstart hat „Fast & Furious 7“ sagenhafte eine Milliarde Dollar an den Kinokassen eingespielt. „Darum bieten wir Hollywood unseren Handschlag an. Wir hätten den Film lieber 'Zeit für Vergebung' genannt.“ Das wäre sicher ein sehenswerter, wenn auch etwas anderer Streifen. Mit dieser fantastischen Fabulier-Crew aus Friedrichshain ist die Zukunft des Actionfilms jedenfalls gesichert.
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