Die Wahrheit: Im dicken Doppeldecker
Die achtzig reichsten Menschen der Welt sitzen in einem Bus und fahren durch London, während sie mit sich und anderen Fahrgästen zu tun haben.
Dass der Reichtum auf der Welt ungleich verteilt ist, weiß jedes Kind. Die meisten Zahlen hierzu sind jedoch so abstrakt, dass man sich die Lage kaum vorstellen kann. Deshalb hat die britische Hilfsorganisation Oxfam jetzt die globalen Besitzverhältnisse in ein neue anschauliche Formel gefasst: Die Hälfte des weltweiten Vermögens gehört achtzig Personen, genau der Anzahl derer, die in einem Doppeldeckerbus Platz finden. Was für ein plastisches Bild! Die achtzig reichsten Menschen der Welt vereint in einem Bus!
Bill Gates, Mark Zuckerberg, Stefan Quandt und alle anderen, Schulter an Schulter, Sprühspeichel an Stiernacken in gepolsterten Zweierreihen. Amis, Europäer, Chinesen, auch neuneinhalb Frauen fahren mit. Selbst ein paar Nichtsoziopathen sind darunter sowie ein Saudi, ein Nigerianer und ein dicker Filipino, der die ganze Zeit frittierte Mangos futtert. Es riecht nach Hugo Boss, Männerschweiß und reingeschmuggeltem Sauren Paul.
Dicht an dicht sitzen sie da und fahren den ganzen Tag durch London. Gibt es Zwist? Ja, es gibt Zwist. Theo Albrecht jr. stellt seine Lehne so tief runter, dass die Speckbrüste des indischen Technologie-Patriarchen Shiv Nadar hinter ihm einklemmen.
Lidl-Titan Dieter Schwarz rüttelt an der Lehne seines Hongkonger Vordermanns Lee Shau Kee und grölt ständig: „Erdbeben!“, während die Russen um Roman Abramowitsch auf der unteren Ebene einen Vierersitz mit Tisch ergattert haben und Durak spielen, das beliebte russische Kartenspiel, um Firmenanteile und Aktien.
Mixkassetten werden durchgereicht, und der Busfahrer – lass es Gianis Varoufakis, Abu Bakr al-Baghdadi oder eine minderjährige Sweatshop-Näherin aus Bangladesch sein – grummelt durchs Mikrofon, die Anwesenden mögen doch bitte ihre Käsemauken von den Lehnen der Vorderleute nehmen. Und wer hat schon wieder das Busklo vollgeschissen?
Alle zeigen auf Carlos Slim Helu, den mexikanischen Telekommunikations-Mogul, der so tut, als gucke er aus dem Fenster und bestaune die Vintage-Shops in Soho am Wegesrand.
Und wer sitzt ganz oben in der vordersten Reihe am Panoramafenster und ritzt mit dem Taschenmesser Vagina-Synonyme in die Kunststoffarmlehnen? Selbstverständlich die Amerikaner! Mark Zuckerberg neben Rupert Murdoch (gut, der ist in Australien geboren, sitzt aber immer ganz vorne) und allen anderen, bis auf Bill Gates, den alten Nerd, der unten beim Fahrer sitzt und mit ihm über das Bus-Betriebssystem fachsimpelt.
Es gibt Diskussionen, wenn auch oft stockend, zum Beispiel zwischen Michael Otto, der leider nicht so gut Englisch kann, und Warren Buffett, der leider auch nicht so gut Englisch kann.
Oben, in der siebten Reihe links, ist es besonders eng. Auf dem Platz am Gang sitzt Birgit Rausing, Grande Dame des Tetra-Pak-Konzerns. Neben ihr, auf dem Fensterplatz, türmen sich Beate Heister und Karl Albrecht junior, Letzterer auf dem Schoß der Ersteren, denn die Erben von Aldi Süd firmieren gemeinsam in der Forbes-Liste, die ebenjene superreichsten Menschen der Welt ermittelt, als eine einzige Person, was sich jetzt allerdings bitter rächt.
Ansonsten ist die Stimmung blendend. Es wird viel gelacht und aus dem Fenster geschaut, in den hereinbrechenden Londoner Regen, und plötzlich schneiden alle hämische Grimassen und winken, denn dort draußen, an der Bushaltestelle, steht eine regentriefende Gestalt im billigen Trenchcoat: Dhanin Chearavanont, der thailändische Lebensmittelgigant – verzeichnet nur auf Platz 81, weshalb er leider nicht in den Doubledecker einsteigen darf.
Gleich darf er aber vielleicht doch noch hinein, wenn sich Carlos Slim Helu noch ein einziges Mal dem Busklo nähert und der Fahrer kurzen Prozess macht. Oder wenn Alischer Usmanow beim Kartenzocken gegen Roman Abramowitsch seine Anteile an Gazprom verliert und damit von der Forbes-Liste fliegt.
Wohin der Bus eigentlich fährt? Darüber streiten sich die wohlhabenden Geister. Der eine will nach Piccadilly Circus zu den Huren, der andere Richtung Buckingham Palace zur Queen, der Dritte an die Börse, der vierte zu Starbucks, weil es da den Banana Nut Muffin gerade um 20 Prozent billiger gibt.
Die große Mehrheit aber stimmt für die direkte Weiterfahrt nach Marbella, an die spanische Costa del Sol, wo sie alle Anwesen haben und dicht an dicht unter sich bleiben können. Bis dahin ist die Fahrt im Doppeldeckerbus ohne Zwischenstopp in 23 Stunden locker zu bewerkstelligen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers