■ Die Wahlen in Bosnien drohen zur Farce zu werden. Doch eine Verschiebung verhindert der Westen – aus Eigennutz.: Auf halbem Weg nach Dayton
Flavio Cotti ist um seine Rolle nicht zu beneiden. Als Außenminister der Schweiz gilt der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) international eher als politisches Leichtgewicht. Um so bemerkenswerter, daß er bislang dem massiven Druck der nur noch an ihrer Wiederwahl interessierten Clinton-Administration und einiger EU-Regierungen widerstanden hat, unter Mißachtung des Dayton-Vertrages und der realen Bedingungen in Bosnien vorschnell den Termin 14.September für die Wahlen auf Bundes-, Teilstaats- und Kommunalebene zu verkünden.
Bei der morgen in Florenz beginnenden Konferenz zur Halbjahresbilanz des Dayton-Vertrages dürften Warren Christopher, Klaus Kinkel und Malcolm Rifkind ihren Druck auf ihren Schweizer Amtskollegen noch verstärken. Bleibt zu hoffen, daß der OSZE-Vorsitzende weiterhin Rückgrat beweist.
Taktische Erwägungen sollten bei seiner Entscheidung keine Rolle spielen und wären überdies nutzlos. Denn ob Cotti nun den 14.September als Termin für die Wahlen verkündet, diese dann aber wegen mangelnder Voraussetzungen für einen „freien und fairen“ Urnengang zur Farce verkommen und auf die „demokratische Bestätigung“ der drei nationalen Parteien SDS, HDZ und SDA hinauslaufen – oder ob der OSZE-Vorsitzende die Wahlen ganz oder teilweise verschiebt und damit den auf ein Jahr ausgelegten Fahrplan des Dayton-Prozesses verlängert: In jedem Fall werden Cotti und die OSZE in Washington und manchen EU-Hauptstädten zum Sündenbock gestempelt werden. Daher kann der OSZE- Vorsitzende diplomatische Erwägungen getrost beiseite lassen und sich ausschließlich an der realen Lage in Bosnien orientieren.
Und die ist ziemlich eindeutig. Ein halbes Jahr nach Unterzeichnung des Dayton-Vertrages existieren die darin „garantierten“ wesentlichen Rechte weiterhin fast nur auf dem Papier. Auch die Bedingungen zur Durchführung „freier und fairer Wahlen“ sind nicht erfüllt – mit einigen Ausnahmen weniger Städte in der Muslimisch-Kroatischen Föderation wie Sarajevo, Tuzla oder Zenica. Und zwar nicht nur, wenn man den Maßstab „Jeffersonscher Ideale“ (Warren Christopher) oder „westeuropäischer Standards“ (Mostars EU-Administrator Peres Casado) anlegt. Sondern auch gemessen an den schwierigen Wahlen der letzten Jahre in Kambodscha, Namibia oder Ende Mai in Albanien. In dieser Beurteilung sind sich so ziemlich alle in Bosnien tätigen Organisationen, von UNHCR über Unicef bis zur Westeuropäischen Union, einig. Gleiches hört man von den KollegInnen in der OSZE-Mission und bei der EU- Administration in Mostar, die sich auch durch politisch motivierte Zensuranweisungen ihrer Chefs Robert Frowick (OSZE) und Peres Casado (EU) den Mund nicht verbieten lassen.
Auch ein gestern veröffentlichter Bericht der International Crisis Group in London, die die Umsetzung sämtlicher Bestimmungen des Dayton-Abkommens in den letzten sechs Monaten vor Ort systematisch beobachtet hat, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Die Bewegungsfreiheit über die ethnischen Grenzen zwischen Muslimisch-Kroatischer Föderation und Serbischer Republik existiert nicht; innerhalb der kroatisch kontrollierten Gebiete der Föderation nur als Ausnahme und auch in muslimisch dominierten Gebieten nur mit Einschränkungen. Dasselbe gilt für die Rückkehrmöglichkeiten der 2,86 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen, von denen seit Dezember lediglich 70.000 zurückgekehrt sind. Verhindert wird die Rückkehr auch durch die drei Millionen Landminen, deren Räumung die Ifor – außer in ihren eigenen Operationsgebieten – bislang verweigert. Als Kriegsverbrecher angeklagte Personen und nationalistische Hardliner bestimmen – ob in offiziellen Positionen oder aus dem Hintergrund – nach wie vor das Geschehen in der Serbischen Republik, in weiten Teilen der kroatisch kontrollierten Föderation und auch in einigen muslimisch dominierten Gebieten.
Unter diesen Umständen sollte Cotti die Wahlen um mindestens vier bis sechs Monate verschieben. Zumindest die Wahlen zu den Parlamenten und Regierungen Bosniens und seiner beiden „Einheiten“, der „Serbischen Republik“ und der „Muslimisch-Kroatischen Föderation“. Denkbar wäre es, im September bereits die Kommunalwahlen in jenen Orten durchzuführen, in denen die Bedingungen für einen einigermaßen „freien und fairen“ Urnengang gegeben sind und wo Oppositionsparteien eine reelle Chance haben (zum Beispiel in Sarajevo, Tuzla, Zenica).
„Eine Wahlverschiebung stärkt Karadžić, Mladić und die Nationalisten auf seiten der Kroaten und Muslime“, und „die demokratischen Oppositionsparteien wollen die Wahlen im September“. So lauten die gängigsten Argumente gegen eine Wahlverschiebung. Doch wenn die Wahlen am 14.September stattfinden und Karadžić nicht vorher festgenommen wird, wird er selbst, Beljana Plavšić oder ein anderer, Karadžić ergebener Hardliner für die Präsidentschaft der „Serbischen Republik“ und für den serbischen Sitz in der dreiköpfigen Präsidentschaft Gesamtbosniens kandidieren. Das weiß jeder, der sich in den letzten Wochen einmal in Pale bei Mitgliedern der Regierung wie bei einfachen Leuten umgehört hat. Die Haltung der demokratischen Oppositionsparteien ist durchaus differenzierter, als sie von Befürwortern des Wahltermins 14.September wiedergegeben wird.
Auch die Oppositionsparteien wissen, daß „freie und faire“ Wahlen nur in einigen Städten stattfinden würden. Wenn sie sich dennoch für den 14.September aussprechen, dann aus der Furcht, daß zu einem späteren Wahltermin die Ifor-Truppen abgezogen und die Rahmenbedingungen für Oppositionsparteien noch ungünstiger sind.
Eine Entscheidung, die Wahlen ganz oder teilweise zu verschieben, macht daher nur Sinn, wenn die Regierungen der Nato-Staaten und Rußlands jetzt und nicht erst nach den US-Präsidentschaftswahlen Anfang November das Ifor- Mandat verlängern; und wenn sie der Ifor endlich die Weisung erteilen, die vom Internationalen Tribunal angeklagten Personen festzunehmen und Bewegungsfreiheit und die Rückkehrmöglichkeiten für Vertriebene durchzusetzen. Ohne diese Maßnahmen dürften die Bedingungen für „freie und faire“ Wahlen in Bosnien im Frühjahr 1997 kaum besser sein als heute. Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen