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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Die Verwandlung des Daniel K.

In guten Momenten talkt Anke Engelke nicht, sie unterhält sich. Und erweicht die Herzen sogar für Daniel Küblböck

Was fällt Ihnen zu Daniel Küblböck ein? Würg, Ächz, Stöhn? Geil? Oder schon lange gar nichts mehr? Über den 18-Jährigen, der von RTL zum Beinahe-Superstar gekürt worden war und derzeit gerade in der Versenkung verschwindet, wird fast nur in Sprechblasen geredet. Durchaus passend zu der von Boulevardmedien aufgebauten Kunstfigur, die in den letzten Monaten von einer Karikatur zum lebenden Sandsack mutierte.

Dass Anke Engelke die Sehnsucht nach Harald Schmidt vergrößert statt über den Abschiedsschmerz hinwegzutrösten, ist derzeit nicht zu ändern, und vieles spricht dafür, dass es sich auch in Zukunft nicht ändern lassen wird.

Trotzdem ist der Showmasterin vor ein paar Tagen ein wirklich großer Augenblick gelungen. Sie hat Küblböck zu sich ins Studio eingeladen und dann etwas Spektakuläres getan, was auf dem Bildschirm sonst selten zu sehen ist: Sie hat sich mit ihm unterhalten.

Sie meinen, das sei nun wirklich nichts Besonderes und an plappernder Beliebigkeit herrsche im deutschen Fernsehen kein Mangel? Es gebe doch fast nichts anderes mehr als Talk, Talk, Talk – ein Begriff, der sich anhört, als riefe man Hühner zum Körnerpicken, wenn man ihn mehrfach schnell hintereinander ausspricht? Ja, aber Anke Engelke hat eben nicht getalkt. Sie hat eine Unterhaltung geführt.

Eine erwachsene Frau um die 40 schien sich tatsächlich dafür zu interessieren, was in einem 18-Jährigen vorgeht, dessen Leben – nicht ganz ohne eigenes Zutun, vor allem aber durch schamlose Manipulationen erwachsener Profiteure – durcheinander geraten ist.

Eine gestandene Entertainerin wollte von einem jungen Nachwuchstalent, das sehr gerne in ihre Fußstapfen treten möchte, wissen, ob der Junge das eigentlich selber gut findet, was er derzeit so macht, und wohin er beruflich wirklich will. Sie hat ihn ernst genommen. Das beinhaltete offene Kritik und auch leichten Spott, aber keinerlei Voyeurismus.

Plötzlich geschah etwas Eigenartiges. Daniel Küblböck verwandelte sich vor den Augen der Zuschauer in einen ganz normalen Jugendlichen. Verunsichert, etwas trotzig und ziemlich tapfer. Er erweckte Mitgefühl und Respekt.

17 Jahre alt war der Junge, als der Hype über ihn hereinbrach. Selber schuld? Er hätte sich ja nicht bei dieser albernen RTL-Show zu bewerben brauchen? Schon recht. Die Sehnsucht nach Ruhm hat Reifere und Ältere kaputtgemacht.

Haben Sie 17-Jährige in der Familie oder im näheren Freundeskreis? Ließen Sie zu, dass denen das widerfährt, was Daniel Küblböck passiert ist? Vermutlich ist schon die Frage absurd. Das ist doch ein ganz anderes Milieu, nicht wahr?

Da liegt das Problem. Der größte Teil jener Öffentlichkeit, der sich für die Wirkungsmechanismen von Medien interessiert, möchte sich mit den Niederungen der modernen Gladiatorenkämpfe nicht befassen. Er hält das für unter seinem Niveau. Und schaut deshalb ungerührt, allenfalls ein wenig angewidert zu, wie Halbwüchsige in Achterbahnwagen gesetzt werden, von denen schon vor der Abfahrt feststeht, dass sie entgleisen.

Es ist vollkommen in Ordnung, wenn sich Leute zur Belustigung des Publikums selbst zum Affen machen, ihren Darm im Fernsehen spiegeln lassen oder Ultraschallbilder ihrer ungeborenen Kinder zum Abdruck freigeben. Solange sie erwachsen sind. Eine Gesellschaft jedoch, die widerspruchslos hinnimmt, dass Jugendliche öffentlich als Wegwerfartikel missbraucht werden, legt eine Kälte an den Tag, die frösteln macht.

Was ist eigentlich komisch daran, wenn ein Teenager aus schwierigen Familienverhältnissen, der gegenwärtig mit fast unerträglichen Belastungen fertig werden muss, sich ohne Führerschein ans Steuer setzt und einen schweren Unfall baut?

Leider kam auch die Redaktion von Anke Engelke nicht ohne Einspielband mit Witzchen über den am Crash beteiligten Gurkenlaster aus. Vorhersehbar. Blöd. Und menschenverachtend.

Fragen zu Küblböck? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER