■ Zentralbosnien ist den Medien keine Schlagzeilen wert: Die Vergewaltigungen gehen weiter!
Die Gynäkologin Monika Hauser leitet das „Medica-Frauentherapiezentum“ im zentralbosnischen Zenica, in dem monatlich rund dreihundert vergewaltigte Frauen behandelt werden. 28 Angestellte hat das vor allem aus Spendengeldern der internationalen Frauenbewegung finanzierte Haus, das seit März dieses Jahres geöffnet ist. Seit Anfang Juli sind Ableger des Stammhauses in Zenica selbst (5 angestellte Frauen) und auch in der zentralbosnischen Kleinstadt Visoko (5 Betreuerinnen) entstanden.
taz: Sarajevo ist wieder in aller Munde, es scheint aber, als ob das Schicksal der Menschen in Zentralbosnien angesichts des Genfer Verhandlungsrummels unterginge. Sie sind seit Ende Dezember 1992 fast ständig in Zenica gewesen. Als Organisatorin und Leiterin des „Medica-Frauentherapiezentrums“ haben Sie viel zu tun mit dem Krieg und seinen Folgen, aber auch mit den örtlichen Behörden und den Hilfsorganisationen. Wie beurteilen Sie die augenblickliche Situation in Zentralbosnien?
Monika Hauser: Wer nicht dort lebt, kann es sich wohl kaum vorstellen. Die Stadt Zenica ist nun schon seit fast zwei Monaten ohne Wasser, Lebensmittel kommen nicht mehr durch, seit die HVO, die kroatisch-bosnische Armee, das Zentralland abgesperrt hält und uns gelegentlich mit Granaten beschießt. Hilfslieferungen kommen außer denen der UNHCR nicht mehr durch, und die reichen bei weitem nicht aus. Die Stadt ist voller Flüchtlinge, die Bevölkerung hat sich auf mehr als 200.000 Einwohner verdoppelt. Die Menschen hungern. Ich möchte gar nicht daran denken, daß ja schon in vier Wochen hier in den Bergen der Winter beginnt.
Sie kümmern sich hier um die vergewaltigten Frauen. Das Schicksal dieser Frauen hat in der Weltöffentlichkeit ein starkes Echo gefunden. Hatten diese Berichte wenigstens das Ergebnis, daß die Zahl der Vergewaltigungen zurückging?
Davon kann überhaupt keine Rede sein. Ich verdeutliche das an einem Beispiel. Wir arbeiten in unserem Therapiezentrum mit der vollen Kapazität, 220 bis 240 Frauen werden monatlich von uns betreut, 20 sind stationär in unserem Haus untergebracht. Dabei handelt es sich um Frauen aus allen Nationalitäten.
Doch sind die muslimanischen Frauen immer noch die weitaus gößte Gruppe. Wir haben gerade in letzter Zeit Frauen aus den umkämpften Gebieten behandelt, aus Maglaj, aus der Gegend von Doboj, Zepče. In den Dörfern um Kiseljak und Busovaca spielen sich Tragödien ab. Vor allem die Soldaten der HVO vergewaltigen die muslimanischen Frauen, sogar ihre Nachbarn fallen über sie her. Oftmals geschehen die Verbrechen von einem Tag zum anderen, so daß niemand damit rechnet.
Das Dorf Lugo bei Zepče ist ein besonderes Beispiel. Es ist ein moslemisches Dorf, das von kroatischen Dörfern umgeben ist. Hier hat die HVO Mitte Juli mit schweren Waffen angegriffen, die Verteidiger haben den ungleichen Kampf aufgegeben. Die Männer wurden sofort gefangengenommen und in ein Lager bei Zepče gebracht, um Zwangsarbeit zu verrichten, z. B. um Gräben an der Front auszuheben, so daß die bosnische Armee nicht eingreifen kann. Sie sind sozusagen lebende Schutzschilder. Die Frauen mußten in ihren Privathäusern zurückbleiben, wurden faktisch unter Hausarrest gestellt und wurden von HVO-Soldaten bewacht. In den Nächten haben dann HVO- Soldaten geplündert und vergewaltigt.
Die Kroaten mußten sich jedoch vom Dorf wieder zurückziehen und den serbischen Tschetniks das Feld überlassen. Dies bedeutete für die Frauen die zweite Vergewaltigungsperiode. Die bosnische Armee war nur einen Kilometer entfernt, konnte aber angesichts der Übermacht nichts tun, um den Frauen zu helfen. Eine Frau, der die Flucht gelungen ist und die zu uns kam, konnte uns die Geschichte erzählen. Im Prinzip ist der Vorgang nicht untypisch, er findet in vielen Dörfern in ähnlicher Weise statt.
Sie sagten, daß alle Seiten Verbrechen begehen ...
Die bosnisch-serbische und die bosnisch-kroatische Armee unterscheiden sich darin nicht. Lediglich bei der Armee von Bosnien-Herzegowina (BiH), in der ja noch alle drei Nationalitäten vertreten sind, die für ein freies Bosnien kämpfen, gibt es noch Regeln, hier werden Verbrechen von den Kommandeuren verfolgt. Trotzdem kommen sie vor, so das Massaker von Sasanj, wo Einheiten der MOS, die nur aus Muslimanen und auch Mudschaheddin bestehen, Anfang Juli rund 20 Menschen, Kroaten, Frauen und Männer, ermordet haben sollen. Ein Soldat berichtete mir, daß ein serbisches Mädchen von einem MOS-Soldaten vergewaltigt wurde. Der MOS-Mann wurde verhaftet. Ich habe gefordert, das Mädchen zur Behandlung nach Zenica zu uns zu bringen. Der Soldat wurde freigestellt, um das zu tun. Allerdings wurde er verwundet, sein Kommandant hat aber versprochen, daß das Mädchen zu uns gebracht wird. Verbrechen zu ahnden sind also in der BiH-Armee keine leeren Worte.
Seit Beginn des offenen Krieges zwischen der kroatischen HVO und der Bosnischen Armee Anfang April ist eine sehr unübersichtliche Lage entstanden. Viele Dörfer und Regionen sind von gegnerischen Truppen eingeschlossen, die ihrerseits wiederum eingeschlossen sind. Was bedeutet das für die Menschen in Bosnien-Herzegowina?
Die Menschen, die sich in den Kesseln befinden, haben keinen Zugang mehr zur Außenwelt. Niemand weiß, was mit ihnen passiert. In der Altstadt von Vitez sind die mehr als 1.000 Muslimanen völlig auf sich gestellt, eine Mitarbeiterin, deren Eltern sich in dem Kessel befinden, hat seit Wochen keine Nachricht mehr von ihnen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß das gesamte von der bosnischen Regierung noch kontrollierte Gebiet eingeschlossen ist und seit Monaten keinen Kontakt zur Außenwelt hat. Die Lebensmittelrationen sind äußerst gering geworden. Wie gesagt, in Zenica herrscht jetzt schon Hunger.
Die internationalen Institutionen fühlen sich einer Neutralität verpflichtet, was nur heißt, daß lediglich Einzelpersonen versuchen, diesen Menschen zu helfen. Die Kriegsverbrechen werden vor den Augen der Mitarbeiter internationaler Institutionen begangen, das trifft auf die UNPROFOR wie die Hilfsorganisationen, wie auch auf die EG-Beobachter zu.
Sie haben in bewundernswerter Weise Partei ergriffen. Wie steht es um den Fortgang Ihres Projekts?
Finanziell geht es uns gut. Denn die internationale Frauenbewegung stellt uns materiell sicher. Aber auch Hilfsorganisationen wie die Caritas sind bereit, uns unter die Arme zu greifen. Und die internationalen Organisationen loben uns. Das ist ja schön, aber ich habe auch den Eindruck, daß wir damit der Verdrängung Vorschub leisten. Die Mittel fließen auch, weil viel zu viele wegschauen möchten und was hier passiert, politisch hinnehmen.
Die uns gestellte Aufgabe ist überdimensional. Die Frauen, die zu uns kommen, brauchen eine Langzeithilfe, viele sind so traumatisiert, daß sie nicht einmal die Kraft haben, sich helfen zu lassen. Mit der Eröffnung von Medica 2 in Zenica und Medica 3 in Visoko versuchen wir, unser Bestes zu tun. Jetzt gehen wir daran, ein Transportsystem zu entwickeln, um Medikamente und Hilfslieferungen von der dalmatinischen Küste nach hierher, nach Zenica, zu bringen.
Interview: Erich Rathfelder
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