: Die Unzufriedenheit schüren
Der Widerstand gegen die Nazis aus dem Exil war wichtig. Eine besondere Rolle spielten dabei die „Ritchie Boys“. Ihre spannende Geschichte erzählen Rebekka Göpfert und Christian Bauer
Die „Ritchie Boys“, so hätte ein Gesangsquartett in den Dreißigerjahren heißen können oder eine kalifornische Surfer-Band Anfang der wildbewegten Siebziger. In Wirklichkeit waren die Ritchie Boys Kämpfer gegen die Nazi-Diktatur. Sie sind aus dem nationalsozialistischen Deutschland und Österreich geflohen; die meisten, weil sie Juden waren.
Unter harten Bedingungen mussten sie im amerikanischen Exil leben – und wurden in Camp Ritchie für die psychologische Kriegsführung gegen Hitler-Deutschland ausgebildet. 1944 beteiligten sie sich sowohl an der Invasion in der Normandie als auch an der Ardennenschlacht, später am Wiederaufbau und der Entnazifizierung in Deutschland. Zu den Ritchie Boys gehörten bekannte Autoren wie Klaus Mann, Hans Habe, Stefan Heym und Hanus Burger, ein „Who’s Who“ der ausgebürgerten Intellektuellen.
Der Regisseur Christian Bauer hat im Jahr 2004 die Geschichte der Ritchie Boys in einem Dokumentarfilm erzählt. Nun hat er zusammen mit der Autorin Rebekka Göpfert daraus ein spannendes Buch gemacht. Darin geht es vor allem um die weniger prominenten Ritchie Boys, etwa den Germanisten Günther (Guy) Stern. Bauer und Göpfert wollen „seine Gefühle verstehen, seine Wut, seine Angst – und seinen unbedingten Willen, gegen Deutschland zu kämpfen“. Und das ist ihnen weitgehend gelungen.
Camp Ritchie befand sich im US-Bundesstaat Maryland und wurde als Ausbildungsplatz für deutsche Emigranten und Deutsch sprechende Amerikaner benutzt, um sie auf den Krieg in Europa vorzubereiten. Eine Aufgabe der Ritchie Boys war es, die Stimmung unter der deutschen Bevölkerung einzuschätzen. In einer interessanten Beobachtung schreibt beispielsweise Saul Padover, der amerikanische Germanist, dass „deutsche Frauen, vor allem Schülerinnen, ein lohnendes Feld für unsere Propaganda sind.Da sich der deutsche Mann unter den Nazis noch mehr zu einem Haustyrannen entwickelt hat, als er ohnehin schon war, ließe sich Unzufriedenheit unter der weiblichen Bevölkerung schüren.“
Leider vermittelt der Untertitel des empfehlenswerten Buches einen falschen Eindruck: dass die deutschen Emigranten als Spione beim US-Geheimdienst tätig waren. Das ist ein Marketing-Trick, der allerdings ein antisemitisches Vorurteil bedient: Die Juden agieren konspirativ.
Zutreffend ist dagegen Stefan Heyms Beschreibung: das Ziel seiner Tätigkeit in „der Hohen Schule der Military Intelligence“ sei gewesen, „dass sich möglichst viele deutsche Soldaten möglichst bald ergaben“. Heym verstand sich immer als Teil des antifaschistischen Kampfes innerhalb des Zweiten Weltkrieges. Tatsächlich wurden viele Ritchie Boys jedoch von den Amerikanern während ihres Aufenthalts in Camp Ritchie und später in der Zeit des Kalten Krieges bespitzelt.
Auch waren die USA nicht unbedingt die Zufluchtstätte vor der Judeophobie in Deutschland, die sich so mancher Ritchie Boy erhofft hatte. So wurde der Maler Si Lewen einmal in New York verhaftet, weil er jüdischer Herkunft war. Die wirklich unvorstellbare Gewalt des Antisemitismus erfuhr Lewin jedoch erst nach 1945 in Europa, als er das Konzentrationslager Buchenwald besuchte. Dort erlitt er „einen totalen physischen und psychischen Zusammenbruch, der als Trauma bis heute nachwirkt“, wie Bauer und Göpfert schreiben.
Stefan Heym, dessen Klarheit bei der Analyse der Ereignisse die Autoren loben, schrieb mit Blick auf die Schoah: „Ein normaler Mensch musste sich direkt fragen, wie es die Nazis wohl fertig gebracht hatten, Auschwitz mit immer neuen Opfern zu füllen.“ Angesichts der schrecklichen Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus waren viele der Ritchie Boys tief enttäuscht über die Nachkriegsordnung im Westen. Ähnlich wie der kürzlich verstorbene Simon Wiesenthal fragten sie sich bald: Wer hat den Kalten Krieg eigentlich gewonnen? Die Nazis. Denn für die Amerikaner war der Kampf gegen den Kommunismus wichtiger als der gegen die braune Vergangenheit in Deutschland.
Trotz dieser Enttäuschung leisteten einige der Ritchie Boys einen wichtigen Beitrag zur Presselandschaft im Nachkriegsdeutschland. So war Hans Habe verantwortlich für „achtzehn verschiedene Blätter mit einer Gesamtauflage von über acht Millionen Exemplaren“. Und gemeinsam mit Heym gründete er später Die Neue Zeitung in München, die als erste anspruchsvolle Tageszeitung Deutschlands nach 1945 galt und im Buch zu Recht als „ein Meisterstück des Journalismus“ gepriesen wird.
BENJAMIN WEINTHAL
Christian Bauer/Rebekka Göpfert: „Die Ritchie Boys. Deutsche Emigranten beim US-Geheimdienst“. Hoffmann & Campe, Hamburg 2005, 224 Seiten, 19,95 Euro