■ Die Unrechtsstaaten: China, die USA, der Kongo und der Iran: Amnesty vergleicht Äpfel mit Birnen
Wer sitzt in diesem Jahr auf der Anklagebank? Die Vorstellung des Jahresberichts von amnesty international ist ein noch immer mit Spannung erwartetes Ritual. Er liefert die Hardware, wie es weltweit um die Menschenrechte bestellt ist. Unbestechlich. Schonungslos. Ob Folter in der Türkei oder in Israel – nichts wird verschwiegen. Egal welche internationale Reputation die jeweiligen Länder auch haben, vor den Augen von amnesty international sind alle gleich. Damit erwirbt man sich zwar Anerkennung, aber keine guten Freunde. Welcher Innenminister liest schon gerne die dokumentierten Fälle der Polizeiübergriffe in Deutschland?
Amnesty international ist somit auch ein Korrektiv der Selbstgefälligkeiten so mancher Politiker des Westens, die die universelle Gültigkeit der Menschenrechte in immer dickeren Lettern auf ihr Banner schreiben. Aber der Jahresbericht ist auch ein Steinbruch, aus dem sich die unterschiedlichsten Interessen bedienen lassen. Für all jene, die Deutschland schon immer auf der Schwelle zum Polizeistaat sahen, ist er ultimativer Beweis: „Wie schon im ai-Bericht 1998 nachzulesen ist ...“
Gestern hat amnesty international für das Jahr 2.000 für alle Staaten ein Hinrichtungsmoratorium angemahnt. Diese Forderung kann umstandslos unterstützt werden. Und dennoch bleibt ein schaler, weil propagandistischer Beigeschmack, wenn amnesty China, die USA, Kongo und den Iran in einem Atemzug wegen der praktizierten Hinrichtungen anklagt. Als die vier Länder, in denen 1998 „80 Prozent aller bekanntgewordenen Hinrichtungen ausgeführt worden sind“. Die intendierte Botschaft ist unmißverständlich. Von China, dem Iran und dem Kongo erwartet man nicht anderes. Aber die USA – diese Kämpfer für die Menschenrechte!
Das Zahlenspiel droht zur Propaganda zu verkommen, weil es nicht aufklärt, sondern die Dramatik der weltweiten Situation verschleiert. Denn tatsächlich wurden in China 1998 rund 70 Prozent der Hinrichtungen vollstreckt, in den USA vier Prozent. Auch bleibt bei dieser von amnesty verbreiteten Arithmetik unberücksichtigt, welche Qualität von rechtsstaatlichen Verfahren den Hinrichtungen in den einzelnen Ländern zugrunde liegen.
Angesichts der unerträglichen Praxis in den USA mag ein Wunsch nach Differenzierung als Zumutung erscheinen. Und dennoch – nicht alles, was gleich erscheint, kann umstandslos in einem Atemzug genannt werden. Aber eine der naheliegenden Schlußfolgerungen wird nun lauten: Mit welchem Recht bombardierten die USA das Kosovo und Serbien, wenn sie selbst die Mindeststandards der Menschenrechte nicht befolgen? Dieser Weltpolizist, der mit dem Iran, China und dem Kongo die Schwarze Liste von amnesty anführt. Eberhard Seidel
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