: Die Union liebt ihre kleine Stadt in Deutschland
■ Regierungssitz: Nachtsitzung der CDU/CSU-Fraktion ergibt leichte Vorteile für Bonn/ Bremen und Brandenburg favorisieren Berlin
Bonn/Berlin (dpa) — Sichtlich erschöpft verließen schließlich gegen 00.30 Uhr die letzten Unions-Parlamentarierer ihren Fraktionssaal. Knapp hundert hatten bis zum Schluß der über vierstündigen Redeschlacht um Bonn oder Berlin ausgeharrt. Lothar de Maizière, Streiter für Berlin, faßte seinen Eindruck zusammen: „Es war spürbar: Man wollte sich nicht wehtun, nicht wie zwei Züge aufeinanderrasen, doch die Meinungen wurden nicht wesentlich beeinflußt.“ Vor allem die Bonn-Anhänger sahen das anders. Sie, aber auch nicht wenige Berlin-Befürworter, registrierten, als der Saal noch voll war, sehr wohl, daß die Argumente für die alte Bundeshaupstadt mehr lautstarken Zuspruch erhielten als die für einen Wechsel nach Berlin.
Eine „Sowohl-als-auch-Lösung“ war eher das Stichwort, das in den meisten Kommentaren als diffuse Stimmungslage dominierte. Das Argument, „wer gegen Berlin ist, ist gegen die neuen Länder“, zog weniger als erwartet. Mit Beiträgen vom Alt- Kanzler Carstens und Alt-Ostpreußen Barzel als Fuhrleute für Bonn war ein Gegenpol zum Votum des Kanzlers geschaffen worden, der am Tag zuvor sein ganzes Gewicht in die Waagschale für Berlin geworfen hatte. Überhaupt fiel Teilnehmern auf, daß Helmut Kohls Ansicht — zumindest ausgesprochen — keine große Rolle in der Debatte spielte. Doch wie das in den kommenden Wochen aussehen wird, das ist die große Frage.
Die Bremische Bürgerschaft hat sich am Donnerstag vormittag bei fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen mit großer Mehrheit für Berlin als Regierungssitz ausgesprochen. Bedenken gegen Berlin bestanden bei einigen SPD-Abgeordneten, aber auch bei der FDP und den Grünen. Nach dem Willen des Parlaments soll die vollständige Übernahme der Funktionen über einen längeren Zeitraum erfolgen.
Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hat sich für Berlin als Sitz von Bundesregierung und Bundestag ausgesprochen. Gleichzeitig forderten auch alle Fraktionen des Potsdamer Landtags am Donnerstag im Landesparlament in einer gemeinsamen Resolution die Verlegung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin. Nach Meinung Stolpes soll der Umzug allerdings erst frühestens in zwölf Jahren stattfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen