■ Eine falsche Rollenzuweisung an Ignatz Bubis: Die Unfähigkeit zu streiten
Frühere Vertreter der Jüdischen Gemeinde, wie zum Beispiel Heinz Galinski, neigten tendenziell dazu, sich selbst als eine Art „lebendes Mahnmal“ zu betrachten. Diese Haltung schien lange, besonders angesichts der offenen Ablehnung, mit der die Existenz einer jüdischen Gemeinde in Deutschland vor allem aus Israel oft bedacht wurde, die einzig mögliche Legitimation. Daß Ignatz Bubis, der jetzige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, nach einer solchen Legitimation nicht mehr fragt, sondern jüdisches Leben in Deutschland als nicht übermäßig aufregendes Faktum behandelt, spricht nicht nur für seine Souveränität, sondern auch für eine erfreuliche Verbesserung der Lage. Natürlich wird es noch eine Weile dauern, bis hier in aller Selbstverständlichkeit jüdische, muslimische oder sonstwelche Partikularstimmen in den allgemeinen Schlagabtausch eingehen, und noch ein bißchen länger, bis sie dann gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden müssen – sondern eben als Teil des Diskurses, der wie katholische, feministische oder ultrakonservative Positionen auch angegriffen und bestritten werden darf.
Daß wir so weit noch nicht sind, zeigen nicht nur die seltsamen Rollenzuweisungen an jüdische Journalisten, die sich zu Themen äußern sollen, an denen ihre nichtjüdischen Kollegen fürchten, sich die Finger zu verbrennen. Auch die Rolle, die Bubis selbst im Verlauf der Debatte um das Holocaust-Mahnmal zugedacht war und ist, spricht Bände. Aus Angst vor dem, was herauskommen könnte, wenn eine wirklich eigene Position, womöglich mit all der vorhandenen Ambivalenz zu sehen wäre, greift man nicht nur nach jüdischen Trauerformen, sondern hofft auch auf ein Placet von offizieller jüdischer Autorität. Damit ist Ignatz Bubis nicht nur überfordert, damit wird auch der Verlauf der – endlich in gebotener Breite stattfindenden – Debatte in die falsche Richtung fortgeschrieben: Wie kriegt man eine unzweideutige, fehlerfreie Trauerbekundung hin? Niemand konnte angesichts dieser Anforderung etwas anderes als überfordert sein. Es gibt keine Präzedenz für Denkmäler an die Opfer im Land der Täter. Es gibt keine zentralen nationalen Erinnerungsstätten an Vietnamesen in den USA, an Armenier in der Türkei, an die Aborigines in Australien.
Immer wieder wird vergessen, daß Alexander Mitscherlich mit der „Unfähigkeit zu trauern“ nicht nur die Trauer um die Juden, sondern die um das verlorene Liebesobjekt, „den Führer“, meinte. Die Aufgabe hätte darin bestanden, eine Erinnerungsform zu finden, die den Nachfahren der Täter und denen der Opfer erträglich ist. Sie ist nicht zu lösen. Genau das müßte ein zentrales Mahnmal sichtbar machen. Mariam Niroumand
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