Die Ukraine und die verpassten Momente: Kein Kopf im Gras
Ost-Schau
von Barbara Oertel
Die Ukrainer sind wahrlich nicht zu beneiden. Die Krim ist weg und wird es vorerst auch bleiben; im Donbass wird weiter geschossen – allen internationalen Friedensbemühungen und dem Minsker Abkommen zum Trotz. Die anvisierte Visumfreiheit für EU-Staaten will und will nicht kommen, was auch künftig lange und demütigende Prozeduren bei Botschaften und Konsulaten bedeutet.
Und nun hat es auch noch die ukrainische Nationalmannschaft bei der EM in Frankreich komplett vermasselt. Schon vor ihrem letzten Vorrundenspiel gegen Polen können die Blau-Gelben ihre Rückflugtickets lösen, was ihnen immerhin nervtötende Wartezeiten wie im Falle Albaniens erspart.
Die gelinde gesagt bescheidene Vorstellung der Ukrainer verlangt natürlich nach mindestens einer Erklärung. Und die hat beispielsweise Jewgeni Lewtschenko, ukrainischer Exprofifußballer und Experte des TV-Kanals Futbol, auf dem Onlineportal der Wochenzeitung Zerkalo Nedeli parat. Im Spiel gegen Nordirland seien keine Spielführer sichtbar gewesen. Zwar hätten sie versucht zu laufen, nur leider in den entscheidenden Momenten nichts getan.
Da sieht man es mal wieder. Im Fußball ist es irgendwie ein bisschen so wie im richtigen Leben: Zwar ist die politische Führung in Kiew nicht komplett unsichtbar, verpasst aber leider ebenfalls regelmäßig die entscheidenden Momente. Wie sonst ist es zu erklären, dass das Land noch immer auf der Stelle tritt – auf politischer, aber auch auf fußballerischer Ebene.
Lewtschenko hat noch weitere Gründe für das Scheitern der ukrainischen Elf auf Lager. Für ihn sei es das Beschämendste gewesen, dass es eigentlich keine Geschlossenheit und keine Mannschaft gebe, in der die Spieler sich füreinander einsetzten. Wie überraschend ist das denn, möchte man fragen. Wo soll sie den herkommen, die viel beschworene Geschlossenheit in einem Staat, der zerrissener nicht sein könnte?
Und trotzdem: Die Ukrainer wären nicht die Ukrainer, würden sie den Kopf einfach so in den Rasen stecken. Vor dem definitiv letzten Auftritt bei dieser EM wird noch einmal die ganz große Keule rausgeholt.
Am Dienstag wolle man sein Bestes geben, heißt es aus der Mannschaft. Warum? Um sich bei den Fans zu entschuldigen und sich vor ihnen zu rehabilitieren. Doch damit ist es noch nicht genug. Es gehe auch um die eigene Ehre und die des Landes, meint der Mittelfeldspieler Ruslan Rotan.
Nun mal halblang. Nicht alles muss immer gleich eine Frage der Ehre sein. Vielleicht sollte es einfach und wenigstens einmal bloß darum gehen, guten Fußball zu spielen, also einen guten Job zu machen. Das wäre dann vielleicht auch mal ein Beispiel, dem die Politik folgen könnte.
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