■ Die USA und ihr Atomkompromiß mit Nordkorea: Einlenken, um der Sache willen
Wer als Präsident der USA in dieser ungeordneten Welt nicht Golfkriege führen kann, hat es schwer. Ebenso wie in Bosnien fehlen in Nordkorea, dem vielleicht explosivsten aller Krisenherde, die klaren militärischen Optionen. Eine Bombardierung der atommilitärischen Reaktoren nördlich von Pjöngjang könnte unbekannte Mengen Radioaktivität freisetzen. Zudem lauert die viertgrößte Armee der Welt keine hundert Kilometer nördlich der 15-Millionen- Stadt Seoul und könnte die südkoreanische Hauptstadt binnen Tagen in Schutt und Asche legen. Kein Wunder also, daß sich die Regierungen in Seoul und Tokio in seltener Einstimmigkeit das Spiel mit militärischen Optionen gegenüber Pjöngjang ausdrücklich verbeten haben. Was aber kann Bill Clinton dann noch ausrichten?
Erste Möglichkeit: Nicht verhandeln und damit Nordkoreas Isolation riskieren. Womöglich hätte der Atomwaffensperrvertrag dann heute schon einen Unterzeichnerstaat weniger. Zweite Option: Verhandeln und damit einen kompromittierenden Kompromiß wagen. Genau das ist nun in den Augen vieler Beobachter geschehen. Da spricht plötzlich die Supermacht „auf gleicher Ebene“ mit dem geächteten Partisanenstaat Nordkorea, und beide sichern sich für die Zukunft Waffenenthaltsamkeit zu. Die Südkoreaner mögen aus nationalem Feingefühl noch Verständnis aufbringen und die Chinesen sich ins Fäustchen lachen – für die Japaner war das des Guten schon zuviel. Sie verzichten auf Atomwaffen, weil sie den Amerikanern vertrauen – aber ausgerechnet in dem Augenblick, wo Nordkoreas unberechenbare Diktatoren ihre mutmaßlichen Atomraketen auf Reichweiten bis Tokio programmieren, schließt Washington mit Pjöngjang ein Bündnis über Atomwaffenfreiheit. Wie will Clinton dies den Japanern vermitteln?
Dennoch: Der Atomwaffensperrvertrag ist es wert, solche Verunsicherungen in Kauf zu nehmen. Wie kein anderes internationales Vertragswerk aus Zeiten des Kalten Krieges ist es geeignet, ihn zu überdauern. Nur dieser Vertrag kann verhindern, daß Plutonium zur beliebigen Handelsware und der Atomwaffenbau zu Jedermanns Sache wird. Wer dabei duldet, daß es im Belieben jeder Regierung steht, autark über Beitritt oder Austritt zu entscheiden, hat den binnen kurzem (im Jahr 1995) auslaufenden Vertrag längst aufgegeben. Um so wichtiger war es gerade jetzt, den Präzedenzfall Nordkorea zu verhindern. Und um so höher ist es Bill Clinton anzurechnen, daß er vor aller Welt die demütigende Einigung mit den nordkoreanischen Atom-Abenteurern eingesteckt hat. Georg Blume, Tokio
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