■ Die US-Armee besetzt Haiti: Aus eigener Kraft nicht in der Lage
Haiti kann aufatmen: Diejenigen, die die Terrorherrschaft der drei vergangenen Jahre an oberster Stelle zu verantworten haben, werden abgelöst, und die Invasion, jetzt in friedliche Landung umgetauft, kommt trotzdem. Das ist gut so. Natürlich ist am Kompromiß, den Clintons Emissär Carter in Port-au- Prince ausgehandelt hat, vieles zu bemängeln: die Troika der militärischen Führung hat noch fast vier Wochen Zeit, das Kommando abzugeben, sie muß das Land nicht verlassen, sie kommt nicht vor die Schranken der Justiz, und sie wird in der Vereinbarung nicht einmal beim Namen genannt. Das bietet Raum für vielerlei Manöver. Doch das Spiel, das die Machthaber Haitis vor einem Jahr boten, als sie ihren Rücktritt schriftlich zusagten und dann doch nicht gingen, läßt sich nicht wiederholen. Damals floh ein US- Kriegsschiff im Hafen der Hauptstadt vor einer Bande steinewerfender Jugendlicher. Das kann sich Clinton heute kurz vor den Wahlen zum Kongreß nicht mehr leisten. Im Gegenzug zu recht weitgehenden Zugeständnissen hat Carter erreicht, daß die Invasion nun ohne offenen Protest der Führung des Karibikstaates stattfindet. Das wird den terroristischen Widerstand aus dem Umkreis der Diktatoren schwächen und die Gefahr bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen mindern.
Daß US-Truppen nun die Kontrolle des Landes übernehmen, stößt gewiß bitter auf. Doch daran führt nunmehr kein Weg vorbei. 1986 hat das haitianische Volk die Duvalier-Clique zum Teufel gejagt. Die Militärs haben sich gerächt. 1990 haben die Haitianer mit übergroßer Mehrheit den Armenpriester Aristide zum Präsidenten gewählt. Die Armee schlug zurück. Man kann es den verelendeten Massen der Karibikinsel nicht verübeln, daß sie seit Monaten auf eine Invasion hoffen. Ihre Reserven sind erschöpft. Der Terror hat das Land gelähmt. Aus eigener Kraft ist Haiti nicht imstande, die Diktatur abzuschütteln – sowenig wie Deutschland bei Kriegsende die Nazis.
Die haitianische Linke und die Führung der Basisorganisationen in den Armenvierteln sprachen sich seit Monaten gegen eine Intervention aus. Die Besatzungstruppen, so ihr Hauptargument, würden eine Renaissance von Lavalas, der Bewegung Aristides, verhindern und damit auch jede revolutionäre Entwicklung. Das ist richtig. Doch übersieht diese Kritik, daß die Mehrheit der Haitianer, die vor drei Jahren vielleicht noch an eine von ihrem charismatischen Priesterpräsidenten angeführte Revolution glaubte, heute um ihr schlichtes Überleben kämpft. Wer alle Energien verbraucht, um den Bauch halbwegs zu füllen, und dann angesichts des endemischen Terrors keine reale Chancen sieht, in angemessener Frist sein Los zu verbessern, setzt für sich selbst die Revolution von der Tagesordnung ab.
Gewiß ist die US-Regierung um die Demokratie auf Haiti vor allem deshalb besorgt, weil sie die Bootsflüchtlinge nicht will. Gewiß liegt Clinton mehr daran, den Sitz des Gouverneurs von Florida für seine Partei zu retten, als daran, dem legitimen Präsidenten Haitis wieder in sein Amt zu verhelfen. Gewiß will er die Armee auf der Karibikinsel nicht beseitigen, sondern sie ein bißchen säubern, um sie als Institution zu retten. Ja, die US-Politik ist selbstverständlich wie eh und je interessegeleitet. Daß die Intervention von der UNO gebilligt ist, kann dies kaum verschleiern. Ja hätte „man“ vor drei Jahren, als Aristide von der Macht geputscht wurde, gegenüber den Generälen in Port-au- Prince bloß eine andere Politik durchgesetzt. Alles Schnee von gestern. Es wurde eben nicht gewollt, es wurde eben nicht getan. Und deshalb blieb letztlich keine Alternative mehr zur Invasion. Es sei denn, man wollte auf dem Altar hehrer Prinzipien ein ganzes Volk opfern, das nach jahrzehntelanger Diktatur mindestens in zwei historischen Situationen – 1986 und 1990 – Kopf und Kragen riskiert hat. Thomas Schmid
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