■ Die UNO nach dem Scheitern der Somalia-Mission: Bashing bringt nichts
Zum vermutlich letzten Mal für lange Zeit steht Somalia im Blickpunkt des internationalen Interesses. Es wird Bilanz gezogen. Die ausländische Militärintervention in dem Land, das 1992 von einer grauenerregenden Hungersnot heimgesucht worden war, ist beendet. Die letzten Blauhelme verlassen in diesen Wochen die Hauptstadt Mogadischu. Wie schon zu Beginn der Operation, so stehen auch an ihrem Ende Überlegungen, die mit Somalia selbst nichts zu tun haben, sondern sich auf ganz andere Orte der Welt und das globale Spiel der Kräfte beziehen.
Für die UNO ist der Verlauf, den ihr Rückzug nimmt, die Nagelprobe dafür, wie sie sich auch aus anderen Krisenherden zurückziehen kann – mit möglichst wenigen Verlusten an Truppen und Material. Kaum jemand will derzeit wissen, wie die Lage in Somalia selbst aussieht. Die Machtkämpfe der verschiedenen Fraktionen erwecken allenfalls angewiderten Überdruß. Aber war das je anders?
Als vor mehr als zwei Jahren die Fernsehbilder von Babys, die zu Skeletten abgemagert waren, um die Welt gingen, da war die Zeit der Euphorie nach dem Ende des Kalten Krieges noch nicht vorbei. Für die USA schien ein Sieg über den Hunger in Somalia ein einfacher Weg zu sein, um ihren Anspruch auf die Rolle des gütigen Weltpolizisten zu untermauern. Der Geschichte des Bürgerkrieges in Somalia und den Kräfteverhältnissen dort wurde wenig Beachtung geschenkt. Westliche Arroganz manifestierte sich in der Überzeugung, überlegene Waffentechnik allein genüge, um mit „ein paar Banditen“ fertig zu werden. Mittlerweile ist klar, daß die anfangs unter US-Kommando stehende UNO-Operation in Somalia gescheitert ist. Sichtbarstes Zeichen dafür: Das Land hat immer noch keine Regierung. Mit dem neuen Ausbruch von Kämpfen zwischen den rivalisierenden Clans wird täglich gerechnet.
Zur Verteidigung der zeitweise fast 30.000 Blauhelme wird allenfalls angeführt, es sei ihnen doch immerhin gelungen, die Hungersnot einzudämmen. Dabei war dies ursprünglich ihr einziges Mandat. Die politische Stabilisierung des Landes wurde absurderweise erst dann ihr Auftrag, als an die Möglichkeit ihrer Verwirklichung in Somalia selbst kaum noch jemand glaubte und die USA alles daransetzten, sich schnell vom Schlachtfeld zurückzuziehen.
Allerdings ist sogar fraglich, ob den ausländischen Truppen das Verdienst zugeschrieben werden kann, die Hungersnot besiegt zu haben. Der Zenit des Elends war dank der flächendeckenden Hilfsmaßnahmen vor allem des Internationalen Roten Kreuzes bereits vor Beginn der Intervention überschritten. Ob die anhaltenden Plünderungen eines großen Teils der Hilfsgüter die Hilfe weiterhin hätten vertretbar erscheinen lassen, wird im Zusammenhang mit Somalia kaum öffentlich diskutiert – aus gutem Grund: Wer mag schon ein Urteil darüber abgeben, wann der Zeitpunkt erreicht ist, zu dem die Kosten für eine humanitäre Operation so hoch sind, daß man lieber Kinder verhungern läßt, als weiterhin gigantische Summen in ein Faß ohne Boden zu pumpen? Die Redlichkeit gebietet es allerdings, zuzugeben, daß die Kosten der Militäroperation die Kosten für die humanitäre Hilfe – Plünderungen hin oder her – schon bald bei weitem überstiegen hatten. Sei's drum. Für den Grad des Vertrauens, das die UNO in Afrika genießt, ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Anteil der ausländischen Truppen am Sieg über den Hunger überschätzt wird. Die Operation gilt ja dennoch insgesamt als Mißerfolg. Und diese Einschätzung hat bereits verheerende Folgen gezeitigt. Die künftige Entwicklung des Landes wird von den UNO-Truppen auch nach ihrem Abzug beeinflußt – durch machtpolitische Fakten wie die Stärkung bestimmter Fraktionschefs, die sie in der Zeit ihrer Stationierung geschaffen haben. Das läßt sich nicht mehr ändern.
Als Konsequenz des Debakels äußern UNO-Vertreter und Repräsentanten von Industrienationen derzeit vor allem die Überzeugung, die Vereinten Nationen sollten eine allzu tiefe Verstrickung in die inneren Angelegenheiten afrikanischer Staaten vermeiden. Aus dem Schock über das Scheitern der Mission am Horn von Afrika scheinen keine weiteren Lehren gezogen zu werden als die eher dumpfen Gefühlen entsprungene Ansicht, man solle sich aus „Stammeskämpfen“ besser heraushalten.
Es ist kaum vorstellbar, daß die Welt im vergangenen Jahr dem Völkermord in Ruanda ohne die Erfahrungen von Somalia tatenlos zugesehen hätte. Hilflose Opfer wurden ihren Mördern preisgegeben, weil in Somalia allzu viele UNO-Soldaten ihr Leben gelassen hatten. Dabei waren die Voraussetzungen in Ruanda völlig andere als in Somalia. Dort befanden sich die ausländischen Truppen – mit Zustimmung beider Bürgerkriegsparteien – bereits im Lande, als die Massaker begannen. Das Abschlachten wehrloser Zivilisten durch vor Ort stationierte UNO- Soldaten zu verhindern wäre keine Militärintervention gewesen, sondern Teil des Mandats der Friedenstruppen. Natürlich hätte die Gefahr einer Verwicklung in Kampfhandlungen bestanden. Aber es gilt, endlich zu unterscheiden: Nicht der Bürgerkrieg hat eine halbe Million Todesopfer gefordert, sondern die von den Machthabern geplante Ermordung ihrer Kritiker und der ethnischen Bevölkerungsminderheit in Ruanda. Die Kämpfe zwischen den Bürgerkriegsparteien waren nur für einen minimalen Prozentsatz der Toten verantwortlich.
Nach dem Ende des Kalten Krieges waren die Erwartungen, mit denen die UNO gerade in Afrika befrachtet wurde, bei weitem zu hoch gesteckt. Warum sollten eine Organisation, der jahrzehntelang ausufernder Bürokratismus und mangelnde Effizienz zur Last gelegt worden waren, urplötzlich imstande sein, komplexe Probleme im Handumdrehen zu bewältigen? Die Hoffnung darauf lag in der irrigen Einschätzung begründet, Konflikte in Afrika seien ausschließlich eine Folge der Rivalität der Weltmächte. Sie sind eben auch hausgemacht. Die Gründe für den Mißerfolg der UNO in Somalia sind mindestens ebensosehr in der Struktur der Weltorganisation zu sehen wie in den Besonderheiten der somalischen Gesellschaft. Niemand bestreitet die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen der UNO. In dem Verlauf, den die Debatte gegenwärtig nimmt, liegt jedoch die Gefahr, daß das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.
Wenn die UNO nur noch als Papiertiger gilt, wird die Staatengemeinschaft des einzigen Instruments zur gemeinsamen Bewältigung von Krisen beraubt. Es nützt niemandem, die Operation in Somalia nur als weiteren Beleg für die Unfähigkeit der Vereinten Nationen zu betrachten. Die Frage ist, wie verlorenes Terrain des Vertrauens in die UNO zurückgewonnen werden kann und welche Alternativen zu allzu eilfertigen Militärinterventionen erarbeitet werden können. Gelingt das nicht, werden wieder einmal Zivilisten darunter zu leiden haben. In Angola, in Mosambik, in Ruanda. Und auch in Bosnien. Bettina Gaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen