piwik no script img

Die TuR-Werker kommen langsam auf Touren

Im Transformatoren- und Röntgenwerk werden die Interessen der TuR-Werker jetzt auch mit Streiks durchgesetzt  ■  Aus Dresden Detlef Krell

„Wir brauchen eine starke Gewerkschaft. Aber der Aufruf zum Streik, das war ein Schuß von hinten.“ So kommentiert Vertrauensmann Heinz Rühmer die Stimmung seiner Kollegen im Gefäßbau. Vergangene Woche hatte die Gewerkschaftsleitung des VEB Transformatoren- und Röntgenwerkes „Hermann Matern“ in Dresden über den Offenen Brief des FDGB-Vorstandes an de Maiziere beraten und sich gegen spontane Aktionen, für besonnene Tarifverhandlungen ausgesprochen. Damit ist sie mit dem Dresdner Vorstand der IG Metall auf einer Linie: Der Streikaufruf war ein letzter Versuch des FDGB, noch einmal auf sich aufmerksam zu machen. Unbestritten ist, daß die Gewerkschaft ihre Forderung auch mit Streiks durchsetzen wird.

Der Schweißer Joachim Jurig aus dem 90-Mann-Kollektiv Gefäßbau sieht den ersten Schritt, sozialen Härten zu begegnen darin, „als Betrieb die Währungsunion zu überleben.“ Durch Streiks wolle man nicht die eigenen Arbeitsplätze kaputtmachen. Die TuR-Werker wissen sich dabei noch in einer vergleichsweise guten Situation. Mit Hochspannungs- und Medizintechnik hat sich der Betrieb auf internationalen Märkten keinen schlechten Namen erarbeitet. Ob aber das ererbte Produktionsprofil mit Transformatoren, Wandlern, Elektroanlagen und Medizintechnik bestehen bleiben wird, ist fraglich. Immerhin erhielten sie in den vergangenen Jahren einige nicht billige Investitionen. Die komplexe Rationalisierung des TuR war für die 80er Jahre geplant, bis sie unter den Hammer des X. SED-Parteitages geriet. „Vielleicht gibt es auch ein böses Erwachen“, ahnen die Gefäßbauer, am 30. Juni nämlich, wenn die „Machbarkeitsstudie“ von Siemens abgeschlossen ist. „Siemens“, erzählen sie, „läßt einen nicht in die Karten sehen. Der will nur Informationen und legt dann ein fertiges Konzept vor.“

Für offene Karten, bevor das fertige Konzept auf dem Tisch liegt, wollen sich Betriebsrat und Gewerkschaftsleitung gegenüber der Betriebsleitung stark machen. BGL-Vorsitzender Dietmar Skeide: „Wir wollen eine maximale Beschäftigung der Kollegen garantieren. In allen Bereichen begegnen uns Personalabbau-Konzeptionen. Damit sind wir nicht einverstanden. Der Betrieb muß effektiver werden, aber nicht auf diesem Weg.“ Die Gewerkschaft ist für flexiblen Einsatz aller Beschäftigten. Dazu allerdings muß die Leitung neue, zukunftssichere Arbeitsplätze anbieten. Skeide weiter: „Von der Regierung und letztlich von der Betriebsleitung erwarten wir auch ein Modell für eine unserer Belegschaft, ihrer Leistung, ihrer Arbeit der vergangenen Jahrzehnte entsprechende Gewinnbeteiligung.“ Siemens wird sich freuen. Aber selbst in der Treuhand-Gesetzgebung der DDR findet sich für so ein Modell nichts Greifbares. Dietmar Skeide schließt nicht aus, „daß es eine Aufgabe der Gewerkschaft werden könnte, mit entsprechenden Kampfformen dafür zu sorgen, daß hier ein Beispiel für so ein Modell geschaffen wird.“ Die Interessen der rund 5.000 TuR-Werker werden seit März von einem Betriebsrat und einer Gewerkschaftsleitung gemeinsam vertreten. Betriebsratsvorsitzender Heinz Mattusch hält das wie Dietmar Skeide für einen Vorzug: Alle Potenzen betrieblicher Interessenvertretung werden mit maximaler Rechtswirksamkeit mobilisiert, Zweigleisigkeit ist nicht zu befürchten, weil sich Arbeitsmethoden und Aufgaben am gemeinsamen Ziel ergänzen. Noch immer gibt es Gewerkschaftsfunktionäre alten Schlages, die partout die Lanze erheben gegen das Betriebsrätesystem. Der Betriebsrat arbeitet nach einer innerbetrieblichen Vereinbarung. Das Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik diente hier als Vobild.

Tagesaufgabe beider Interessenvertretungen ist, die ab 1. Juli gekündigten Rahmentarifvereinbarungen in einem Sozialpaket neu auszuhandeln. Unabhängig von den neu eingeführten Produktivlöhnen sollen durch die IG Metall höhere Tarife mit dem Ziel der Tarifangleichung an die IG Metall West erzielt werden. Das sollen die Metaller noch im zweiten Halbjahr spüren, auch eine Frage der Legitimation der Interessenvertretung. Die Gewerkschaft will aber auch die sozialen Leistungen im Betrieb, wie Kur, Ferienlager, Urlaubsplätze und subventioniertes Mittagessen nicht vergessen. Die Fragezeichen hinter jeder Sozialleistung halten sich hartnäckig. Gewinn muß der Betrieb bringen, das weiß jeder.

„Die uns anerzogene Sorge, wie es im Betrieb laufe, muß aus dem Kopf!“ erklärt der Dresdner IG-Metall-Geschäftsführer Drobisch. „Wir sind für starke Unternehmen mit hohem Gewinn, weil das der Belegschaft nützt. Aber für eine starke Wirtschaft sind die Unternehmen verantwortlich. Wichtig für die Gewerkschaftsarbeit ist, machbare Forderungen zu stellen. Die Belegschaft muß hinter uns stehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen