herr tietz macht einen weiten einwurf : Die Stufen von Lämershagen
FRITZ TIETZ zieht eine persönliche sportliche Lebensendzeitbilanz und denkt an den Hermannslauf und die Arminia
Fritz Tietz ist 48 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport
Anlässlich seiner fünfzigsten Ausgabe befragte der Observer Sport Monthly (OSM) ein paar Größen des britischen Sports und der britischen Sportberichterstattung: an welchen sportlichen Ereignissen ihren Empfehlungen nach man unbedingt teilgenommen haben sollte, bevor man für immer in der Umkleide verschwindet, auf ewig in die Ringecke muss, das Staffelholz ein für alle Mal aus der Hand gelegt hat; oder wie auch immer man das Sterben sportlich umschreiben möchte. Aus den zahlreichen Antworten resultierte dann eine im Jubiläums-OSM veröffentlichte Liste der „50 sporting things you must do before you die“, so der Titel dieses Kompendiums.
Demnach übrigens jeder, bevor er die Zielleine seines Lebens reißt, ein Fußballderby in Buenos Aires zwischen Boca Juniors und River Plate besucht, mindestens ein olympisches 100-Meter-Finale live gesehen sowie auf jeden Fall einmal dem All-Ireland-Hurling-Finale im Dubliner Croke Park beigewohnt haben sollte – um nur mal drei jener unaufschiebbaren Sportanlässe zu erwähnen, bei denen man lediglich zuschauen muss. Von den sporting things, die man laut Liste des Observer Sport Monthly selbst ausgeübt haben sollte, will ich hier, schon aus Platzgründen, nur drei der leichteren Übungen nennen: Teilnahme am New-York-Marathon, den Großen Preis von Monaco im eigenen Pkw mitfahren, einmal die Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel runterbrettern.
Ich hätte allerdings auch diese drei aufzählen können: vom rechten Arm der Christusstatue auf dem Corcovado in Rio de Janeiro basejumpen (also mit dem Fallschirm abspringen), einmal die Highland-Games mit den Disziplinen „Putting the Stones“, „Throwing the Hammers“ und „Tossing the Cabers“ absolvieren, ein Elefanten-Polo-Match in Nepal bestreiten. Oder aber diese drei: ein ganzes Wochenende lang ausschließlich das Sportprogramm im Fernsehen gucken, mindestens ein Top-Sportevent nackt beflitzen, sowie – last but not least – irgendeinen Weltrekord brechen.
So weit die definitive Vor-Todes-Liste des Observer Sport Monthly, die natürlich gar nicht so richtig ernst gemeint war, wie längst jedem klar geworden sein dürfte. Gleichwohl bin ich durch diese eher lustigen Empfehlungen dazu inspiriert worden, einmal ganz seriös eine ganz persönliche Bilanz zu ziehen. Welche meiner sportlichen Leistungen musste unbedingt sein? Welches sportliche Ereignis soll mir auf jeden Fall noch vergönnt sein, ehe ich meine absolute Bestzeit erreicht, ich für immer aus dem Rennen genommen, mir endgültig die Wettkampflizenz entzogen wird.
Ein sporting thing, das mir keiner mehr nehmen kann, ist zum Beispiel der Hermannslauf. Ein fürchterlicher Gewalt- und Geländemarsch, der am Hermannsdenkmal bei Detmold beginnend 35 Kilometer über den Kammweg des Teutoburger Walds bis nach Bielefeld führt und von jedem, der in dieser Stadt geboren wurde, vor seinem 40. Geburtstag absolviert werden muss, so er seine Bürgerrechte nicht verwirken will. Bereits im Jahre 1976 habe ich, achtzehnjährig, diese Pflicht gleich einer Kür erledigt, wie es dereinst mal auf meinem Grabstein stehen könnte. Und das, obwohl ich spätestens an den berüchtigten 128 Stufen von Lämershagen von grässlichen Krämpfen gepeinigt und die restlichen zehn Kilometer nur unter größten Qualen in der, unter diesen Umständen aber immer noch sehr akzeptablen Gesamtzeit von 3 Stunden und 47 Minuten schaffte.
Ganz und gar aus blieb dagegen bisher jenes sporting thing, das sich aber nach Möglichkeit bitteschön noch vor jenem Geschehen ereignen möge, welches ich jetzt mal als meinen unwiderrufbaren Platzverweis bezeichnen möchte. Ich spreche natürlich vom Einzug Arminia Bielefelds ins DFB-Pokal-Finale. Ein Ereignis, dem ich, seit ich denken kann, ebenso vehement wie vergeblich entgegenfiebere.
Träfe es endlich ein, ich würfe glattweg alle meine Prinzipien über den Haufen und würde sogar noch einmal ein deutsches Fußballstadion betreten. Das Berliner Olympiastadion nämlich, wo bekanntlich jenes Endspiel ausgetragen wird. Welches übrigens Bielefeld von mir aus gar nicht gewinnen müsste. Die reine Finalteilnahme würde mir schon genügen.