: Die Straße als Schlachtfeld ...
■ betr.: „Fünf Naivitäten der Auto kritiker“, taz vom 24./25. 5. 97
Toll, Herr Möser, Ihr Artikel hat mich 150prozentig überzeugt! Nachdem ich mich nun jahrelang völlig vergeblich in Verkehrsinitiativen und Parteien für eine Wende in der Verkehrspolitik engagiert habe, ohne daß ich die von Ihnen dozierten „Naivitäten der Autokritiker“ jemals auch nur erahnt hätte, folge ich nun Ihrem Vorschlag: Ich kauf' mir erst mal 'ne „110-kW-Rennreiselimousine“ und breche dann auf zu 'ner Tour durch die uns allen eigene autofaszinative Gefühlsgeschichte. Brumm, bruummmm! Georg Weil, Hamburg
Das ist hübsch! Wieder einmal beschreibt ein linker Mann in den Vierzigern, wie naiv die AutokritikerInnen doch seien ... Aus seiner Sicht berücksichtige ich als Autokritikerin nicht in ausreichendem Maße, daß Autofahren irrationalerweise Lust erzeugt, nicht nur der Fortbewegung dient, nicht direkt durch rationale und politische Entscheidungen eingeschränkt wird.
Ein Blick auf die Realität eröffnet mir diese Erkenntnisse auch ohne Glorifizierung der „wahren Attraktionen des Autos“. Kurt Möser leidet arg unter der Einschätzung, Autofreundlichkeit sei prollig und machomäßig. Und genau deswegen blendet er einen großen Teil der Realität aus. Verkehrspolitik bleibt solange naiv, wie sie vor der Autofaszination eines Teils der Gesellschaft resigniert. Wieder einmal werden AutofahrerInnen als die die Gesellschaft tragende Gruppe interpretiert. Dem ist nicht so! So scheint es nur zu sein, weil (vor allem männliche) Autofahrende die Verkehrspolitik und -planung bestimmen. Sie blockieren Alternativen für die Menschen, die andere Faszinationen als die der Motorisierung kennen. Es gibt sehr viele Menschen, die zum Autofahren gezwungen werden, weil es keine Alternative gibt. Nicht alle empfinden Lust dabei, im Stau zu stehen. Erst wenn Alternativen zu einer autofixierten Mobilität gelebt werden können, wird die Größe der Gruppe der faszinierten AutofahrerInnen auszumachen sein. [...] Ich gebe den Naivitätsvorwurf an Kurt Möser zurück: Natürlich gibt es viele naive AutokritikerInnen. Doch finde ich die naiven Automehrheitsgläubigen gefährlicher! Brigitte Biermann, Duisburg
Weitgehend stimme ich dem zu, was Kurt Möser über die Kurzsichtigkeit der AutokritikerInnen schreibt. Natürlich geht ein Ansatz, der das Automobil als reines Fortbewegungsmittel sieht, fehl. Es hat ganz andere Funktionen, VerkehrspsychologInnen haben diese in diversen Veröffentlichungen bereits benannt und weisen darauf hin, daß Autos auch noch im Stau faszinieren. Möser hat recht, daß Sparautos dieses Problem nicht lösen, sondern – ähnlich wie der Katalysator – eher als Ablaßbrief gekauft würden.
Mösers Schlußfolgerungen allerdings, daß Verkehrspolitik gegen Autofaszination nichts ausrichten könne, teile ich nicht. Politik kann bestimmte Verhaltensweisen fördern oder bremsen bzw. belohnen oder bestrafen. Solange die AutofahrerInnen als „Belohnung“ für jeden Stau eine weitere Autobahn, noch mehr Verkehrsfunk und noch mehr Parkplätze bekommen, werden sie sich noch weniger Gedanken über ihr Verhalten machen als bisher. Eine Verkehrspolitik, die demgegenüber FahrradfahrerInnen, FußgängerInnen und diejenigen, die Bus und Bahn benutzen, belohnt, wir manchen Autofan zumindest zum Nachdenken bewegen.
Die Krönung von Mösers Kommentar: Autokritiker würden nicht gewählt. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, daß VerkehrspolitikerInnen und -planerInnen auf einem Auge blind sind, wenn es um die tatsächliche Nachfrage nach Straßen und Autos geht – sie schätzen sie immer zu hoch ein. Das scheint auch Möser zu betreffen. In Berlin beispielsweise sind 50 Prozent der Haushalte autofrei. Ob das alles Kinder und Nicht-WählerInnen sind? Ein Blick in unsere Parlamente hilft weiter ...
Das alles wird – so hoffe ich – auch Kurt Möser wissen. Sein Beispiel, daß die Motorisierungspolitik der Nazis nicht zu einer Massenmotorisierung geführt hat, ist denkbar schlecht gewählt. Er wird als zuständiger Lehrender für „Straßenverkehrsgeschichte“ wissen, daß statt der „Kraft-durch- Freude“-Wagen für die breite Masse in Wolfsburg Kübelwagen für den Krieg gebaut wurden. Es ist verständlich, daß Möser, um seinen Kommentar abzurunden, jeglichem eher rationalen Ansatz der Autokritik eine Absage erteilt. Hilfreich ist das nicht. Andrea Meyer, Robin-Wood-
Verkehrsreferentin, Bremen
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