Die Stimmung bei bewölktem Himmel ist entspannt: Seufzendes Publikum
Ausgehen und Rumstehen
von Lorina Speder
Es herrscht ein ruhiges Getummel am Samstagnachmittag auf dem Gelände des alten Kraftwerks Rummelsburg. Die Besucher des nun drei Jahre alten Pure&Crafted Festivals sind am Eröffnungstag zufrieden. Der Ortswechsel ist positiv – zuvor fanden die Wochenenden mit Musik, Motorrädern und Essen immer im kleineren Postbahnhof statt. Und obwohl die Anfahrt an die Rummelsburg um einiges komplizierter als der Weg zum Ostbahnhof damals ist, überzeugt die neue Location mit der großzügigen Kulisse des über hundert Jahre alten Industriebaus.
Die Stimmung bei bewölktem Himmel ist entspannt. Der Dresscode blieb über die Jahr offensichtlich unverändert. Auf der großen Rasenfläche kann man Frauen in Hoodies und vor allem bärtige Männer finden. Es scheint, als ob die Live-Musik tagsüber nicht wirklich der Fokus der Besucher wäre. Obwohl die Band Car Seat Headrest ihr Bestes auf der großen Bühne gibt, bekommt sie nicht viel Aufmerksamkeit. Das Set wird genau zur Essenszeit am Abend gespielt und die langen Schlangen an den Food Trucks durchkreuzen das große Festivalgelände. Man ahnt schon, dass der Großteil des Publikums wegen des Headliners Interpol gekommen ist.
Als das Konzert der New Yorker Band pünktlich beginnt, bewegt sich die große Masse auf den Rasenflächen zur Bühne. Rotes Licht durchflutet den überdachten Bühnenraum, als die atmosphärischen Gitarrenklänge aus den Lautsprechern kommen. Es ist wie angekündigt der erste Song des Debütalbums der Band. Zum 15-jährigen Jubiläum von „Turn on the Bright Lights“ spielen Interpol das Album in ganzer Länge.
Die Band sieht in ihren schwarzen Outfits aus wie ein Teil der Kulisse. Die Scheinwerfer fokussieren nie auf die Bandmitglieder, sondern erfassen die Bühne immer als Ganzes. Schon am Anfang des Konzerts spielen Interpol ihre Hits, die sich an zweiter und dritter Stelle des Albums befinden. Bei „Obstacle 1“ blinken die viereckigen Lichter hinter dem milchigen Vorhang an der Bühnenwand willkürlich, es wird hell. Die unregelmäßigen Basseinwürfe im Song sind scharf und getrennt von dem Rest der Instrumente wahrnehmbar. Hier kommt auch Stimmung in den hinteren Reihen auf. Bei einem der berühmtesten Songs von Interpol, dem Song mit dem Titel „NYC“, ihrer Heimat, geht ein Seufzen durch das Publikum. Die Akkorde der Gitarren vereinen sich mit dem tiefen Blau, das jetzt von der Bühne ausgeht. Während der Strophe sind die Musiker auf der Bühne in Nebel gehüllt, der langsam ins Freie und über die Köpfe ins Publikum zieht. Paul Banks Stimme in der Hommage an seine Stadt ist so herrlich traurig und melancholisch, dass man ihn am liebsten in den Arm nehmen möchte. Das Lied ist eines der Highlights des Konzerts. Bei der Hook „It’s up to me now, turn on the bright lights“ können viele mitsingen. Die Besucher werden dabei mit goldenem Licht angestrahlt.
Nach einer halben Stunde Show ist das Debütalbum fast durchgespielt, die Bühne leuchtet in Pink und Lila. Trotzdem ist der Funke nicht ganz übergesprungen. Nach den ersten Hits im Set erkennen immer weniger Festivalbesucher die Lieder der Band, nur wenige singen mit oder reißen ihre Arme bei Betonungen in die Höhe. Das großartige Ein-Ton-Solo in „Leif Erikson“ kommt gegen den Bass leider nicht an und geht unter. Auch spätere Songs wie „Say Hello to the Angels“ oder „Slow Hands“ bekommen nicht die verdiente Aufmerksamkeit des Publikums.
Als Frontmann Paul Banks das einzige Mal länger zu den Besuchern spricht, erwähnt er die Zeit vor 15 Jahren. Es wären verrückte Tage gewesen, gerade in Berlin, meint er. Vielleicht können das die Besucher, die damals noch viel zu jung waren oder noch nicht in der Stadt wohnten, aber auch gar nicht nachvollziehen. Und so quetscht man sich nach dem Konzert nachdenklich in die überlaufene Tram und fragt sich, was die Mitglieder von Interpol wohl damals in Berlin erlebt haben.
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