Die Stadt im nächsten Film: Berlin, wie es war, als Kulisse
Der neueste Stadtteil Berlins steht in Potsdam: Im Studio Babelsberg hat man die „Neue Berliner Straße“ eingerichtet. Ein Besuch.
Der Sonnabendvormittag macht seinem Namen alle Ehre. Es ist zehn, und in der S-Bahn Richtung Potsdam spielt ein Mann auf einer Querflöte, um ein bisschen Geld zu verdienen. Im Gegensatz zum Alten Fritz, der wohl adrett mit der Flöte umzugehen wusste, spielt er nicht wirklich gut, aber stört auch nicht weiter. Eigentlich klingt es sogar ganz nett. Nach einer Station steigt er wieder aus, um in der Bahn, die zurückfährt, weiterzuspielen.
Der Weg zum Filmstudio in Babelsberg ist schnell gefunden. Viele Hundert Leute sind gekommen, um die Eröffnung der „Neuen Berliner Straße“ an der Ahornstraße zu feiern.
Die „Neue Berliner Straße“ ist keine echte Straße, sondern eine Kulissenstraße. Bis Ende 2013 hatte es die alte „Berliner Straße“ gegeben, die 1998 für den Film „Sonnenallee“ gebaut worden war. Sie war 130 Meter lang und hatte 26 Häuserfassaden. Weil sie nicht mehr so gut war, wurde sie einfach abgerissen und das Gelände mit echten Wohnhäusern bebaut.
Die „Neue Berliner Straße“, die in 140 Arbeitstagen fertiggestellt wurde, ist mit 15.000 Quadratmetern dreimal so groß. Sie besteht aus vier Straßenzügen mit 54 Hausfassaden, 600 Fenstern und Türen und einem Innenhof. Das klingt imposanter, als es dann aussieht, zumindest für den Laien.
Da an diesem Samstag vergangener Woche nicht nur die neue Kulisse eröffnet wird, sondern das Studio Babelsberg gleichzeitig einen „Filmpreisbrunch“ veranstaltet, sind auch viele Tausend Sommerfrischler gekommen. Auf dem Parkplatz stehen schicke Limousinen, auf denen „Filmpreisbrunch“ steht. Die meisten Besucher sehen aber ganz normal aus.
Überall stehen Buden, an denen man sich etwas zu essen und zu trinken holen kann. Es gibt Fleisch, Gemüse, Croissants, Kuchen, Salat aus Früchten, deren Namen man noch nie gehört hat, Speiseeis, Wein, Sekt, Bier, Fruchtsäfte, Limonaden und verschiedene Kaffeesorten. Und das Beste daran ist, dass alles umsonst ist.
Es ist noch nicht einmal Mittag, aber viele der Gäste trinken schon Alkohol. In einer besseren Welt würde man Haschisch rauchen. Kleiner Scherz beiseite. Wahrscheinlich sind die meisten aus der Filmbranche, der Politik und dem Handwerkswesen. Der Filmschauspieler Winfried Glatzeder ist auch da. Er hatte in dem berühmten Defa-Film „Die Legende von Paul und Paula“ den Paul verkörpert und ist einer der Stargäste. „Exzellenzen“ sind auch gekommen.
Bevor die Reden losgehen, geht man ein bisschen in der Straße spazieren und spitzt die Ohren. Ein Mann erzählt, er sei bei der „Lindenstraße“ und drehe jetzt in Mallorca. Die Frau, mit der er sich unterhält, hat zurzeit leider keinen Job. Prüfend sagt jemand: „It’s well done“, sein Kumpel antwortet: „But . . .“, ein Dritter findet die neue Kulisse „remarkable“. Etwas spöttisch sagt eine Frau: „Das ist wohl hier Charlottenburg.“
Es gibt Hüpfburgen, Torwandschießen und mehr Aschenbecher als Rauchende. Abgesehen davon, dass die Graffiti fehlen, sieht hier alles so ähnlich aus wie Berlin.
Dann ruft ein Mann fröhlich: „Alle mal herkommen. Hier gibt’s was zu hören. Hereinspaziert.“ Carl Woebcken und Christoph Fisser von der Studio Babelsberg AG, Tom Tykwer, der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der Minister für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg, Albrecht Gerber, halten Reden beziehungsweise sprechen Grußworte.
„Jetzt, da wir hier fertig sind, müssten wir eigentlich den Auftrag für den Flughafen bekommen“, witzelt Christoph Fisser, der mit Woebcken Chef des Studio Babelsberg ist. 300 Mitarbeiter haben an 140 Tagen hierfür gearbeitet. Zwölf Architekten waren mit der Realisierung der Ideen des Szenenbildners Uli Hanisch beschäftigt.
Das Bauvolumen, heißt es, entspreche dem von 20 Einfamilienhäusern. 8,5 Millionen Euro hätten die Arbeiten, sieben Millionen habe das Grundstück gekostet. Außerdem hat das Kulissenkarree drei große Öffnungen, in die mit modernster Computertechnik die Skyline fast jeder Großstadt montiert werden kann.
Tom Tykwer ist der Hauptgrund, weshalb wir hier stehen. Ohne den bekannten Regisseur („Lola rennt“), der hier die Serie „Babylon Berlin“ drehen möchte, die ein Budget von 40 Millionen Euro hat, also fast so viel kostet wie der Fußballspieler Leroy Sané, wäre man sicher nicht jetzt schon fertig geworden.
Tom Tykwer ist auch ganz begeistert von der Straße, die die ganze Stadt auf engstem Raum darstellen soll, und würde am liebsten die nächsten zehn Jahre hier drehen. In der Serie „Babylon Berlin“ möchte er die Kriminalromane von Volker Kutscher verfilmen, die im Berlin der Zwanzigerjahre spielen. Man ist gespannt, wie er Kutschers Krimis inszenieren wird, weil der erste, „Der nasse Fisch“, doch eigentlich schon selber ein geschriebener Film ist, mit Cuts und Schnittfolgen.
Als Tykwer sagt, dass „Cabaret“ eigentlich der einzige Fim sei, der im Berlin der Weimarer Republik spiele, möchte man ihm aber doch widersprechen: Und was ist mit „Berlin Alexanderplatz“ von Fassbinder, „Anita Berber – Tänze des Lasters“ von Rosa von Praunheim und „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ mit David Bowie?
Michael Düwel, Chef des Art Departments von Studio Babelsberg und der eigentliche Eigentümer dieser Straße, sagt: „Ich wusste, dass es eine Ziellandung wird.“ Und bietet seine Dienste auch dem BER an. Monika Grütters lobt gleichfalls alles und zitiert den James-Bond-Erfinder Ian Fleming, der an dem Tag seinen 108. Geburtstag gefeiert hätte, wenn er noch leben würde: „Never say ‚no‘ to adventures.“
Albrecht Gerber, der brandenburgische Wirtschaftsminister, findet, die Kulisse sei „ein Zauberstab, der Geschichte lebendig werden lässt“ und vielen Tausend Menschen „Arbeit und Brot“ gebe. „Vielen Dank für dies erneute und kraftvolle Bekenntnis zum Standort Brandenburg!“ Und Oberbürgermeister Jann Jakobs freut sich, „dass wir einen neuen Stadtteil hinzugewonnen haben“, und „möchte das Ganze gern touristisch beleben“.
Schließlich sei Berlin hier so präsent, wie es sonst gar nicht mehr zu erleben ist. Aber, sagt er noch, „das ist natürlich ein Scherz“.
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