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Die Stadt als Bühne

Von Berlin über Holzminden bis Görlitz: Die Open-Air-Saison der darstellenden Künste naht – mit Hochtrapez, Körperakrobatik, Zirkusdarbietungen und der „Zauberflöte“

Vom Punk-Geist beseelte Musiktheater: In der ­ehe­maligen Stasi­zentrale in Berlin inszeniert glanz&krawall Mozarts „Zauberflöte“ Foto: Peter van Heesen

Von Tom Mustroph

Das ausladende Tempelhofer Feld in Berlin hat sich zu einem Flanier- und Freizeitsport-Hotspot entwickelt. Im Juli und August lockt dort aber etwas anderes: Bereits zum 11. Mal findet auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens das Berlin Circus Festival mit 51 internationalen Shows statt.

Derweil wird jenseits des S-Bahn-Rings der Hauptstadt Hochkultur runderneuert: glanz&krawall schließen im Juli in der ehemaligen Stasizentrale im Osten der Stadt den Priesterorden aus Mozarts „Zauberflöte“ mit Mielkes altem Männerorden kurz, während im Südwesten, gleich neben der Weltalllauscheinrichtung am Insulaner, die Shakespeare Company das Liebestoddrama „Romeo und Julia“ neu herausbringt (ab 13. Juni). Romeo-Agenten nannten Mielkes Mannen übrigens ihre Bettaushorcher.

Auch aufs weite Land hinaus sollte man strömen. Die idyllisch gelegene CircusMühle Kelbra in Sachsen-Anhalt veranstaltet Ende August ihr Sommerfest mit Luftartistik und Musik. Die Fachwerkstadt Holzminden lädt dagegen schon Anfang Juni zum bereits 17. Mal zu einem der am besten kuratierten Festivals für Theater im öffentlichen Raum ein. Östliches Pendant Ende Juni ist das Viathea Straßentheaterfestival in Görlitz auf der einen und Zgorzelec auf der anderen Oderseite.

Kelbra hingegen ist noch ein Geheimtipp. Seit November leben und arbeiten die Luftartistin Jana Korb, der Einrad-Spezialist Hoppe Hoppinski und der Grafiker Tobias Stiefel in der ehemaligen Wassermühle zwischen der Kleinstadt Kelbra und dem dortigen Stausee. Es handelt sich um Berlin-Flüchtlinge, die große und bezahlbare Proberäume suchten. „Erst haben wir uns im Berliner Umland umgeschaut, dann aber Jahr für Jahr den Suchradius erweitert“, erzählt Trapezkünstlerin Korb. Vor allem sie braucht hohe Räume. Zu denen gesellte sich im alten Mühlenareal noch ganz viel weiterer Platz hinzu. „Allein der Speicher hat 1.000 Quadratmeter Grundfläche“, meint Korb.

Hier entstand in den vergangenen Jahren ein Residenz­ort vor allem für den zeitgenössischen Zirkus. Internationale Gäste kamen. Auch ein Erzählcafé kreierte Korb. Das wird gerade von den Einheimischen gut angenommen. Ferienwohnungen gibt es ebenfalls – für Motorradfreaks, die den nahen Kyffhäuser hinaufdonnern, sanftere Wanderer und auch jene, die für einen Badeurlaub im nahen Stausee kommen. „Das Strandbad wird von der Stadt betrieben, ist wirklich schön und kostet auch keinen Eintritt“, wirbt Korb. Während des Sommerfests sind die Ferienwohnungen allerdings schon ausgebucht. Korb wird zu diesem Anlass ihre neue Produktion „RegenLeiter“ zeigen.

Auf einer hohen Leiter, die zum Trapez umfunktioniert wird, erzählt sie durch die Lüfte schwingend von Wetterunbilden und Klimaveränderungen. „Je nach Wetterlage gibt es eine andere Version“, sagt sie und nennt Sonnen-, Regen- und Windvarianten sowie eine für grauen Himmel, bei dem sonst nichts passiert. Die brasilianische Artistin Gabriela Schwab Veloso wird zum Sommerfest einen Roadtrip von Europa nach Brasilien unternehmen. Auf einem Fahrrad macht sie sich zum 100. Geburtstag ihrer Oma auf. „Sie setzt sich dabei mit dem Leben zwischen den Kulturen auseinander. Und irgendwann hängt das Fahrrad dann auch in der Luft“, verspricht Korb. Die australische Band The Beez spielt auch noch. Internationales Spektakel also in der CircusMühle.

Ebenfalls mit Wetter und Klimaveränderungen setzt sich die für ihre überwältigenden Open-Air-Inszenierungen bekannte Gruppe Titanick auseinander. Beim Festival in Holzminden (6. 6.–8. 6.) lässt sie einen großen Gletscher schmelzen, während eine Hochzeit von Menschen eher aus dem Ruder läuft, erzählt Kuratorin Nicole Ruppert. Spektakuläre Körperakrobatik kommt von den britischen Gruppen Mimbre und Motion House. Das alles findet auf Straßen und Plätzen des wegen seiner hübschen Fachwerkbauten bekannten Städtchens Holzminden statt.

In Zeiten allgemeiner Kulturkürzungen konnte sich Ruppert sogar über erhöhte Zuschüsse der Stadt freuen, was man durch regen Besuch der Stadt an der Weser belohnen sollte. Allerdings ging die Erhöhung zu großen Teilen für opulentere Sicherheitskonzepte drauf, die nach den Anschlägen in den letzten Monaten leider naheliegend sind. Die Kunst, gerade die Kunst auf öffentlichen Plätzen, wird gerade von vielen Seiten bedroht.

Kürzungen machten auch den Berliner Festival-Cracks von glanz&krawall zu schaffen. Die vom Punk-Geist beseelte Musiktheatergruppe verzichtete bei ihrem neuen Drei-Tage-Festival „BERLIN is not SALZBURG. Vol. 5, die Zauberflöte“ in der ehemaligen Stasizentrale (11. 6.­– 13. 6.) erstmals auf eine eigene künstlerische Produktion. „Wir sind jetzt in erster Linie organisatorisch tätig und unterstützen die anderen beteiligten Projekte“, erzählt Dramaturg und Gruppengründer Dennis Depta der taz.

Die CircusMühle Kelbra in Sachsen-Anhalt ist ein Geheimtipp

Hauptthema ist der Priesterorden um Sarastro, den Depta als Pendant zum alten Männerorden Stasi sieht. Das verspricht einen anderen Blick auf Mozart, an dem Depta neben der Musik auch biografisch dessen Flucht aus dem aristokratischen Salzburg in die Wiener Vorstädte schätzt. Echten Electro-Punk steuern die Toten Crackhuren auf der Einhornfarm bei, während Theater Thikwa und hannsjana die Disziplinierungsanstalt Blockflötenunterricht auseinandernehmen.

Während Volume 5 der feinen „Berlin is not …“-Serie „nur“ das Areal der ehemaligen Stasi-Zentrale bespielt, macht das Straßentheaterfestival Viathea ganz Görlitz und ganz Zgorzelec zur Bühne (26. 6.–28. 6.). „Mehr als 170 Auftritte von 24 Straßentheatergruppen aus Deutschland, Finnland, Frankreich, Israel, Kolumbien, Mongolei, Niederlande, Polen und Schweiz beleben die historische Altstadt und Innenstadt von Görlitz und Zgorzelec“, schwärmt Kuratorin Christiane Hoffmann. Es gibt vor Ort auch musikalische Darbietungen. Herausheben möchte Hoffmann die mongolische Band Bugan, die unter anderem Folkloreinstrumente wie die Pferdekopfgeige einsetzt und damit zu Ethnic House, Trap, Techno und Tropical House aufspielt.

Nicht weniger vielfältig und international besetzt ist das Berlin Circus Festival (30. 7.–10. 8.). „19 Kompagnien präsentieren in drei Zelten und auf einer Outdoorbühne die ganze Vielfalt dieses wunderbaren Genres“, teilt Sprecherin Farina Berndt mit. Sie freut sich unter anderem auf die Akrobatik-Acts „Exalté“ und „How A Spiral Works“. Die gilt als eine der besten im zeitgenössischen Zirkus der letzten Jahre überhaupt. Und auch Themen wie Mutterschaft und (athletische) Künstlerinnenkarriere werden behandelt, etwa in „MOTHER.WOMAN.ARTIST“ von der italienischen Reifenartistin Marianna De Sanctis. Viel zu sehen, viel zu hören, viel zu spüren, von der Weser über die Spree bis an die Oder.

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