"Die Sprache des Comics": Das Funktionieren des Wahns
Von "Yellow Kid" bis "Tim und Struppi" – warum Hergé kein Antisemit war, und was das allzu lange als trivial verschriene Medium Besonderes leisten kann.
Die Sprache des Comics - das meint in diesem Buch nicht etwa das, was in den Sprechblasen steht. Ole Frahm geht es vielmehr darum zu begreifen, was dem allzu lange als trivial verschrienen Medium spezifisch ist und was es in ästhetischer Hinsicht Besonderes zu leisten vermag. "Comics lachen über sich selbst und alles Hohe", erklärt der Autor eingangs und zieht daraus den programmatischen Schluss: "Sie sind eine Parodie auf die Referenzialität der Zeichen."
Die für den Comic typische Verschränkung von Bild und Schrift führt aufgrund deren "heterogener Materialität" zu einer Selbstreferenzialität, zu "gegenseitigen Wiederholungen ohne Original", die den "Anspruch auf eine Wahrheit außerhalb der Zeichen" negieren.
Die Parodie ist in dieser Perspektive kein Sonderfall des Comics, sondern dessen wesentliches Strukturmerkmal, das sich bereits früh erkennen lässt. So deutet Frahm etwa die Wimmelbilder von Richard F. Outcaults "Yellow Kid", der ab 1895 erschien, als Anlässe für einen lustvollen visuellen Kontrollverlust: Der "umherirrende Blick der Leser muss die durch nichts zu vereinheitlichende Heterogenität der Zeichen ohne Herkunft, flanierend zwischen Sehen und Lesen, genießen lernen".
In George Herrimans surrealer Funny Animal-Serie "Krazy Kat", die 1913 debütierte, entdeckt Frahm nicht nur kuriose Gender-Verdrehungen, sondern auch "eine implizite Kritik am Umgang mit Helden- und Schreckensbildern", die der Erste Weltkrieg hervorbrachte.
Wie sehr die katastrophale Geschichte des 20. Jahrhunderts sich in den Comics niedergeschlagen hat oder von ihnen bewusst reflektiert worden ist, macht Frahm immer wieder deutlich: sei es in den schlichten Abenteuern von Hans-Rudi Wäschers "Nick, der Weltraumfahrer", sei es in den grotesken Science-Fiction- und Horrorstories aus dem Hause EC oder in Jacques Tardis Erzählungen aus dem Grabenkrieg.
Ein Glanzstück des Bandes ist die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus im Werk Hergés - sonst kein Thema für die Comic-Community. In seiner brillanten Analyse von "Im Reiche des schwarzen Goldes" und "Der geheimnisvolle Stern" gelingt es Frahm, den Schöpfer von "Tim und Struppi" weitgehend zu exkulpieren: Die "antisemitische Projektion" bestätigt sich in den Alben nur scheinbar, in Wahrheit wird mit satirisch-fantastischen Mitteln "das Funktionieren dieses Wahns" ausgestellt.
Die Ambition des Autors, die im kleinen Feld der deutschen Comic-Forschung nahezu einzigartig ist, bildet sich auch in seiner Schreibweise ab. In ihrer hohen Verdichtung, der Redundanz fremd ist, in ihrem Anspruch, sowohl pointiert-essayistisch wie theoretisch fundiert und präzise zu argumentieren, ist sie dem Vorbild Adornos und Walter Benjamins verpflichtet.
Das schließt eine Neigung zum Kryptischen und Verstiegenen ein, ist aber allemal angenehmer als die sonst doch so häufig anzutreffende, lahme Wissenschaftsprosa. Nur ein Vorwurf ist diesem auch hübsch gestalteten Buch zu machen: Die Abbildungen sind so winzig, dass man öfters die Lupe zur Hand nehmen muss, um Ausführungen zu Details nachvollziehen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen