■ Die Sorgen der Millionen-Erben: Reichtum ohne Arbeit?
Frankfurt/Main (dpa) – Deutschland wird in den 90er Jahren von einer Erbwelle überrollt. Erstmals in diesem Jahrhundert fallen den „Kindern der Kriegsgeneration“ Billionen-Vermögen ohne eigene Leistung in die Hände. In mehr als 40 Jahren ohne Krieg und Inflation haben allein die westdeutschen Bürger ein privates Vermögen von 7.000 Milliarden DM gehortet. Zwischen 1993 und dem Ende des Jahrzehnts wird es in Westdeutschland rund fünf Millionen Erbfälle geben – in Ostdeutschland kommen 1,5 Millionen hinzu. Nach vorsichtigen Schätzungen der Banken, die naturgemäß in die profitable Erblawine eintauchen wollen, stehen bis zum Jahr 2000 etwa 1.800 Milliarden DM per Erbschaft zur Disposition: 800 Milliarden DM in Geld, 640 Milliarden DM an Grundvermögen und 360 Milliarden DM aus fälligen Lebensversicherungen. „Auch davon wollen wir ein angemessenes Stück haben“, giert Vorstandsmitglied Eckhart van Hooven von der Deutschen Bank.
Insgesamt kommen bis 1999 rund 26 Millionen Deutsche in den Genuß des warmen Erbregens: 60 Prozent der zu erwartenden Erbschaften liegen dabei unter 200.000 DM, aber schon in jedem vierten Fall wird dieser Betrag erreicht. Bei jeder fünften Erbschaft beträgt der Segen schon 400.000 DM, und jede 40. bringt eine Million. Statt dessen können jedoch Millionen Tränen fließen: Nur 23 Prozent haben ein Testament oder einen Erbvertrag gemacht. Etwa 80 Prozent scheuen sich davor, mit Verwandten oder Lebenspartnern über die Erbfolge zu sprechen. Zumindest klammheimlich scheint aber ein riesiges Interesse an der komplizierten und tabuisierten Materie zu bestehen. Opfer der Versäumnisse sind in der Regel die Ehefrauen oder die Kinder. Stirbt der Ehemann ohne juristische Vorsorge, kann das zu einem dicken Ende führen: Die Sippschaft des Mannes taucht auf, fordert ein Viertel vom Erbe, verlangt möglicherweise sogar den Verkauf des Eigenheims. Das noch mittelalterliche Züge tragende Erbschaftsrecht auf der Basis von Blutsbanden gibt dazu die Legitimation: Ohne Testament erbt die Familie von kinderlos Verstorbenen automatisch ein Viertel der Hinterlassenschaft.
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