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Archiv-Artikel

Die Schlacht von Abidjan

MACHTWECHSEL Ouattaras Truppen sind in die ivorische Metropole einmarschiert, die letzten Soldaten Gbagbos haben sich verschanzt. Die Kämpfe sind ein blutiges Finale eines langen Bürgerkrieges, dessen Parteien jetzt unmittelbar aufeinandertreffen

Für Ouattara dürfte seine begrenzte Autorität über die Warlords in seiner Armee noch zum Problem werden, ebenso die Anwesenheit tausender führungsloser Gbagbo-Kämpfer in Abidjan

VON DOMINIC JOHNSON

Noch nie hat die Elfenbeinküste einen friedlichen Machtwechsel erlebt, und der lange Abgang von Expräsident Laurent Gbagbo bildet dabei keine Ausnahme. Was zunächst nach einem reibungslosen Sieg der Streitkräfte des gewählten Präsidenten Alassane Ouattara aussah, verwandelte sich nach dem Einmarsch in die Metropole Abidjan in der Nacht zum Freitag doch in einen Krieg. Die über drei Millionen Einwohner der größten ivorischen Stadt verbrachten die Nacht in Angst vor Plünderungen und schweren Artilleriegefechten zwischen der Ouattara-Armee FRCI (Republikanische Streitkräfte) und den Gbagbo-Truppen FDS (Verteidigungs- und Sicherheitskräfte).

Am Freitag früh stand fast ganz Abidjan unter Kontrolle von Ouattaras Soldaten. Sie belagerten den Präsidentenpalast im zentralen Stadtviertel Plateau und die Präsidentenresidenz im Nachbarviertel Cocody. Im Gendarmeriecamp Agban im angrenzenden Stadtteil Adjamé kam es zu Schusswechseln.

Doch wo sich Machthaber Gbagbo aufhielt, der seine Wahlniederlage vom November 2010 bis heute nicht anerkennt, blieb auch dann unklar, als immer wieder schwere Explosionen die Kampfgebiete erschütterten. Er befinde sich in seiner Residenz und bete, hieß es in einem Bericht; er sei in einer ausländischen Botschaftsresidenz oder in der Villa des Geschäftsführers der staatlichen Logistikfirma, lauteten wieder andere Berichte.

Der französische Botschafter, dessen Residenz neben der Gbagbos liegt, sagte, dieser sei per Schnellboot über die Lagune von Abidjan in seinen Palast gefahren. Am Nachmittag hieß es, Ouattaras Truppen hätten die Residenz besetzt – und Gbagbo sei nicht da.

Die Blockade des nahen Hotel du Golf, Regierungssitz Ouattaras seit dessen Wahlsieg und unweit von Gbagbos Residenz gelegen, besteht nicht mehr. Präsident Ouattara kann sich im Prinzip frei bewegen; er übernimmt die Macht. Es ist Gbagbo, der jetzt eingeschlossen ist. Am Donnerstagabend ordnete Ouattara eine totale Ausgangssperre bis Montag früh an. Formell haben ihm alle Teile des ivorischen Sicherheitsapparats ihre Loyalität zugesichert: Polizei, Gendarmerie, Armee, Präsidialgarde. Nicht alle ihre Untergebenen sind offenbar damit einverstanden. Die Führung der Sondereinheit zur Verbrechensbekämpfung, „Cecos“, rief gestern alle Soldaten dazu auf, sich Ouattara zu unterstellen, und drohte, man werde „jeden verhaften, der sich der Republik verweigert“. Auf ihrer Website warnten Ouattaras Militärs am Nachmittag die Zivilbevölkerung von Abidjan, sie solle nicht auf die Straße gehen, da „die Säuberungsaktionen der FRCI noch nicht begonnen haben“.

Die Existenz der rivalisierenden Bürgerkriegsarmeen geht auf September 2002 zurück. Damals sagten sich große Teile des ivorischen Militärs von Präsident Gbagbo los, weil dieser seit seiner umstrittenen Wahl 2000 – von der Ouattara aus ethnischen Gründen ausgeschlossen worden war – muslimische Nordivorer systematisch diskriminierte. Die Meuterer übernahmen im Norden des Landes die Macht. Ihren Vormarsch nach Süden stoppte Frankreich mit der Entsendung tausender Eingreiftruppen. Frankreich rettete damals Gbagbo und zog eine Waffenstillstandslinie quer durch das Land. In der Folge konstituierten sich die Meuterer im Norden als „Neue Streitkräfte“ (FN), während Gbagbo die ihm verbliebenen Truppen im Süden durch Jugendmilizen verstärkte. Diese sogenannten Jungen Patrioten, mobilisiert von Studentenführer Charles Blé Goudé, taten sich durch brutale Übergriffe hervor. Im FN-Gebiet mutierten derweil manche Rebellengeneräle zu skrupellosen Warlords.

Freie Wahlen wurden erst möglich, nachdem die beiden Armeen und Administrationen auf dem Papier wieder zusammengelegt worden waren, unter FN-Führer Guillaume Soro als Gbagbos Premierminister. Ouattaras Sieg im November 2010 war eine historische Revanche an Gbagbo – und drückte zugleich den Wunsch der Bevölkerung aus, die Zeiten der Spaltung zu überwinden.

Dies war auch der Grund, warum Ouattara so lange zögerte, die FN-Truppen im Norden zu Hilfe zu rufen, als Gbagbo seine Niederlage nicht anerkannte und im Amt blieb. Erst als klar war, dass das Ausland ihm nicht militärisch beispringen würde, schwenkte Ouattara um, zumal einige Rebellenführer bereits in Abidjan bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen gegen Gbagbos Milizen aufgestellt hatten und hunderttausende Menschen auf der Flucht waren. Es ging darum, zu verhindern, dass die Elfenbeinküste zerfällt wie Somalia. Anfang März erklärte Ouattara förmlich die FN-Truppen zu seiner neuen Regierungsarmee FRCI. Das war das Präludium dazu, dass diese rund 10.000 Kämpfer vor einer Woche in breiter Front die Waffenstillstandslinie zwischen Nord und Süd überqueren und das ganze Land einnehmen konnten. Sie vertreten jetzt die Republik.

Augenzeugen zufolge gingen die FRCI bei ihrem Vormarsch nach Abidjan sehr diszipliniert vor. Gbagbos Armee, offiziell 35.000 Mann stark, setzte ihnen keinen Widerstand entgegen. Inzwischen aber werden aus manchen frisch eingenommenen Städten Racheakte an Gbagbo-Aktivisten gemeldet. Für Ouattara dürfte seine begrenzte Autorität über die ehemaligen FN-Warlords in der FRCI-Armee noch zum Problem werden, ebenso die Anwesenheit tausender jetzt führungsloser, aber bewaffneter Gbagbo-Kämpfer in Abidjan, die in jahrelanger Propaganda davon überzeugt worden sind, dass sie für Gott und Jesus gegen fremde Besatzer kämpfen. Gbagbo-Milizen seien dabei, systematisch Einkaufszentren und Luxuswohnanlagen in Abidjan zu verwüsten, wurde gestern Nachmittag berichtet.

Französische Soldaten versuchen in einzelnen Stadtvierteln, gegen Plünderer vorzugehen. Die UN-Mission in der Elfenbeinküste (Unoci) hat auch die Kontrolle über den Flughafen von Abidjan übernommen, wo Gbagbos Parlamentspräsident Mamadou Koulibaly beim Versuch der Flucht nach Ghana festgenommen worden sein soll. 500 Ausländer, darunter 150 Franzosen, haben sich auf die französische Militärbasis geflüchtet. Eine schwedische UN-Mitarbeiterin, die den Straßenkämpfen von einem Balkon aus zusah, wurde tödlich getroffen.