■ Die SPD vor dem atompolitischen Petersberg: Als Opposition unnötig
Petersberg statt Nürnberg. Maßgebliche Teile der SPD wollen mit der Atomkraft wieder leben lernen – der Nürnberger Beschluß zum Ausstieg aus der Atomkraft soll gekippt werden. Mit dem Strategiepapier aus der Kieler Landesregierung ist endlich die Katze aus dem Sack. Nachdem mit Zustimmung der Sozialdemokraten Asylbewerber an deutschen Grenzen künftig zurückgeschickt werden, verlangen Teile der SPD auch in der Atompolitik die Kurswende. Deutsche Atommeiler sollen mit dem Segen der SPD bis weit ins kommende Jahrtausend weiterstrahlen dürfen. Wenn es dabei zum GAU kommt, haben wir eben alle Pech gehabt. Sozialdemokraten werden die Hände ringen und die Schwere ihrer damaligen Gewissensnot beschwören.
Daß der Vorschlag zum Ausstieg aus dem Ausstieg aus Kiel kommt, kann dabei nicht verwundern. Die dortige Landesregierung schreibt nur den Petersberg- Kurs ihres ehemaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm fort. Von neuen gesellschaftlichen Mehrheiten für die Atomkraft kann zwar keine Rede sein. Aber was tut man nicht alles für die großen Koalition. Schon im März konnte man im Wirtschaftsmagazin Capital lesen, daß der damalige Parteichef bald vom Nürnberger Ausstiegsbeschluß abrücken wollte. „Der Bundestagswahlkampf soll vom Ballast früherer Parteitagsbeschlüsse befreit werden.“ Jetzt also Vollzug in Kiel: Das Wort Ausstieg kommt in dem neuen Konzept nicht mehr vor. Noch im März war es im Verhandlungskonzept der Sozialdemokraten der oberste Punkt gewesen. Statt vom Ausstieg ist jetzt vom „Verzicht“ auf die Atomkraft die Rede. Aus Risiken will man aussteigen, auf Chancen verzichtet man. Verräterisch wie die Sprache auch die Zielrichtung innerhalb der SPD. Eingebunden werden sollen vor allem Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten, die für die weitere Stützung ihre Kohle auf Hilfe aus Bonn angewiesen bleiben. Und dafür, so glauben sie, muß man der Atomregierung Kohl/Töpfer ein Angebot machen. Der Nürnberger Parteitagsbeschluß muß dafür fallen. SPD-Umweltpolitiker werden gegen diesen Vorstoß einen schweren Stand haben.
Aber: Ein Angebot müssen die Sozialdemokraten 1994 auch den Wählerinnen und Wählern machen. Derzeit sieht es so aus, als ob die Sozis zwischen Kiel und München als Umfallerpartei par excellence in die Wahlkämpfe ziehen wollen. Eigenes Profil ist beim Vergleich mit den Positionen der Atomregierung Kohl/Töpfer jedenfalls nicht mehr zu erkennen. Eine solche Partei wäre gänzlich überflüssig, in der Regierung und in der Opposition. Hermann-Josef Tenhagen
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