■ Schöner leben: Die Rutsche
Samstag mittag im Supermarkt. Die übliche Vorhölle. Steile Stirnfalten, die Logik des Einkaufszettels will mit der Logik der Warenpräsentation in Einklang gebracht werden, die sich irgendein korrupter Psycho-Manipulator ausgedacht hat. Menschenmassen zuppeln kleine Nummernzettelchen am Fleisch- und Wursttresen, um pfeilgerade in die nächste Stufe intellektueller Unruhe versetzt zu werden. Denn jetzt heißt es: Abchecken, wie lange die Schlange an der benachbarten Käsetheke, wie weit der Weg zum Weinregal, zum Nudeldepot ist, abchecken, wie lange es wohl dauert, bis das eigene Nümmerchen aufgerufen wird. Wo, verdammt, ist bloß der Zettel? Ach da, in der verschwitzten Hand.
Gutgut, all das sind dann doch selbstgemachte Leiden. Es gibt Erlösung. Ebensogut könnte unsereins auf den allumfassenden Beschleunigungswahn pfeifen, buddhamäßig entspannt zwischen den Regalen durchschwimmen, kleine Pause bei Wurst und Fleisch, ein fröhliches Ommmmmm auf den Lippen. Man könnte den Shopping-Satanisten ein Schnippchen schlagen – wenn da nicht das Bezahlen wäre. Denn spätestens am Ende der Kassenschlange drohen doch noch Herzinfarkt, Magengeschwür und ewige Verdammnis. Und Schuld ist mal wieder der Kapitalismus, denn der hat den Managern der Supermarkt-Ketten schon vor Jahr und Tag die infernalischste aller Ideen eingeblasen. Die Abschaffung der Lebensmittelrutsche.
Früher, ja früher konnte man noch sorglos all die ausgesuchten Schätze vom Einkaufswagen auf das Kassenband baggern, gemütlich mit dem Wagen weiterzuckeln und in Ruhe bezahlen und einpacken. Oh süße, oh gute alte Zeit, in der die Kassiererin die Waren hinter sich schob, eben auf die Lebensmittelrutsche, meist in blankem Edelstahl gehalten, nach hinten hin breiter werdend, wo ein gepolstertes Bremsbrett Käsepaket und Klopapier auffing, auf daß die hernach in Taschen und Tüten gepackt werden.
Die Zeiten sind vorbei. Die Sekunden von Kontemplation sind uns nicht mehr gegönnt, die Lebensmittelrutschen sind abgeschafft. Heute zermartert sich die gemeine EinkäuferIn schon in der Kassenschlange das Hirn über die Frage, was denn zuerst eingepackt werden muß - denn das muß zuerst aufs Band. Flaschen und Dosen vor Sahne und Joghurt. Sobald die Kassiererin den Preis eingetippt und mit einer lässigen Handbewegung die Ware zur Mitnahme freigegeben hat, muß der Kram in Hochgeschwindigkeit verstaut sein. Schon weil die Packzone auf ein paar Quadratzentimeterchen geschrumpft worden ist. Langsamkeit, viel schlimmer: Jedes Zögern wird mit einem Warenstau, bösen Blicken der Kassiererin und der MitkäuferInnen sowieso bestraft. Ein Aussätziger in einer Welt des High-speed-power-shopping. Nur noch steigerungsfähig, wenn dann auch noch in all der Hektik das Portemonnaie vergraben wurde. Dann hängt ein Hauch von Lynchjustiz in der Luft. Samstag mittag im Supermarkt. Die übliche Vorhölle? Ach was, das ist das Fegefeuer!
Jochen Grabler
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