: Die Rückkehr des Korbstuhlmonsters
BEZÜGE Die Skulpturen des britischen Künstlers Richard Deacon sind so raumgreifend wie ungreifbar und dabei sehr poetisch. Zu sehen sind sie in einer Retrospektive im Sprengel-Museum in Hannover
Wie Strandgut liegen diese Skulpturen da, angeschwemmt von einem Meer, das es nirgends gibt außer im Kopf des Künstlers. Die Skulpturen sind meist so groß wie Menschen und haben alle eine im Grundsatz organische Form und eine sinnliche Materialität.
Es sind abstrakte Skulpturen, die höchstens an etwas erinnern: Ein gebogenes längliches Objekt, innen hohl, als wär’s ein Rüssel. Ein deformierter geometrischer Körper mit Querverstrebungen, der mal ein Quadrat gewesen sein könnte oder ein Käfig und „Kind of Blue“ heißt. Ein rundes, beerenartiges Objekt namens „North – Fruit“, abgefressen und überdimensional. Eine Art Mega-Gedärm aus Holz, rund drei Meter breit und ebenfalls innen hohl, weil aus Korbgeflecht gemacht.
Urheber dieser Skulpturen ist der aus Wales stammende Künstler Richard Deacon. „The Missing Part“ heißt die Retrospektive mit Werken aus der 40-jährigen Schaffenszeit des 61-Jährigen Künstlers, die das Sprengel Museum in Hannover derzeit zeigt. Zu sehen sind 40 Skulpturen sowie rund 60 Zeichnungen, Grafiken und Fotografien.
Deacon machte Anfang der 1980er Jahre auf sich aufmerksam als Teil jener Bildhauerszene, die die sinnliche Auseinandersetzung mit den Materialien suchte. Er arbeitete unter anderem mit Holz, Keramik, Metall, Leder und Stoff, sogar getöpfert hat er mal, und zwar ausgerechnet während seiner Zeit im hippen New York. 1987 erhielt er den Turner-Preis und seit 1999 ist er Professor in Paris, lebt aber in London.
Hierzulande bekannt wurde er durch eine Ausstellung, die ebenfalls in Hannover stattfand, und zwar 1993 im Kunstverein. Damals war der Spiegel vor allem beeindruckt von der monumentalen Arbeit „What could make me feel this way“, die aus verschraubtem gebogenen Holz besteht und den Reporter an ein „verwegenes Monster“ denken ließ. „Wie viele Schrauben?“, fragte der Reporter den Künstler. „Ungefähr 4.000“, antwortete dieser.
Der Grund dafür, dass auf einmal die Zahl der Schrauben berichtenswert scheint, mag darin liegen, dass Deacons poetische Arbeiten ansonsten so weit weg sind von allem Konkreten. Bei ihm geht es immer nur um Bezüge, zum Beispiel zwischen organischen Formen und verschiedenen Materialien, zwischen Volumen und Raum, zwischen Natur und technischen Produktionsverfahren. Im Fließen der Formen hat Museumsdirektor Ulrich Krempel eine „Choreografie der Instabilität“ ausgemacht, in der „Rätsel und Metamorphosen Suggestionen der Komplexität der Welt“ seien.
Tatsache ist, dass der Künstler neben seinen so raumgreifenden wie ungreifbaren Skulpturen auch viel auf Papier gearbeitet hat: Seine Zeichnungen, Grafiken und Fotografien widmen sich ebenfalls meist den Formen und Räumen der Natur, verhandeln die Rolle des Leeren und die Ausdruckskraft des Materials. Leichter macht es das nicht. Aber es erklärt die Tiefe, die Deacons Kunst ausstrahlt. KLAUS IRLER
bis 15. Mai, Sprengel-Museum Hannover