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Die Rolle der Traditionen

70 Prozent aller Aidskranken leben in Afrika; acht Millionen Afrikaner sind, so die neuesten Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO, mit dem Virus infiziert. Im südlichen Afrika sind junge Frauen fünfmal so häufig infiziert wie junge Männer. „Es gibt keine Risikogruppe“, resümierte kürzlich der Journalist Mamadou Alpha Barry: Gefährdet sind alle.

Da sich Aids in Afrika hauptsächlich durch Geschlechtsverkehr ausbreitet, hat die Bekämpfung der Seuche viel mit der Änderung sexueller Verhaltensweisen zu tun. Und dies wiederum führt dazu, daß die alten traditionellen Führer wie Stammeshäuptlinge und Dorfchefs vielerorts eine Aufwertung erfahren – da man nur ihnen die moralische Autorität zutraut, solche Themen anzusprechen.

Die Bemba, von denen in dieser Reportage die Rede ist, waren traditionell ein mächtiges kriegerisches Königreich, das unter anderem vom Sklavenhandel mit den arabischen Händlern Ostafrikas lebte. Erst zu Anfang dieses Jahrhunderts gerieten sie unter britische Herrschaft. Sie bestanden aus feststehenden Clans, deren Häuptlinge die Clanidentität wahrten; diese wurde in Zeremonien vom verstorbenen Amtsinhaber an seinen Nachfolger weitergereicht.

Die Abstimmung definierte sich entlang der mütterlichen Linie, was dazu beitrug, daß anders als bei vielen afrikanischen Völkern die Ältesten wenig politischen Einfluß hatten. Die politische Macht des Bemba-Königs und der Bemba-Häuptlinge ging in der Kolonialzeit verloren, und nach der Unabhängigkeit, 1964, behielten sie nur ihre zeremoniellen Rollen sowie in den 80er Jahren Honoratiorenposten im Einparteienregime des Präsidenten Kenneth Kaunda. Der Einparteienstaat wurde 1973 unter anderem mit dem Argument eingeführt, man müsse die Übermacht der Bemba brechen, die 40 Prozent der sambischen Bevölkerung ausmachen. Bemba- Politiker führten denn auch die Opposition gegen Kaunda an – der 1991 demokratisch zum Präsidenten gewählte Frederick Chiluba ist ein Bemba, und die Bemba- Autoritäten sicherten ihm die Stimmen seines Volkes.

So hat in Sambia nicht nur die Aids-Krise, sondern auch die Demokratisierung die traditionellen Führer gestärkt. Öfters ist es in Sambia bereits vorgekommen, daß Häuptlinge durch Verbote Veränderungen des sexuellen Verhaltens durchsetzen wollten – früher, als alle Macht bei der Staatspartei lag, wäre dies undenkbar gewesen. Hinter dem Sterben der Bauern zeichnen sich also Veränderungen im politischen Machtgefüge ab: Je mehr ein moderner Staatschef auf traditionelle Führer zurückgreift, um seine Politik durchzusetzen, desto größer ist die Gefahr, daß seine Herrschaft als die seiner Ethnie gesehen wird.

D.J.

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