Die Ringsprecherin ermahnt die Eltern, ihre Kinder doch von den Ringseilen zu entfernen : Rapper-Boxen im Prenzlauer Berg
VON JURI STERNBURG
Im Idealfall fällt beim Boxen der Gegner. In diesem Fall jedoch fällt Boxen buchstäblich ins Wasser. Es hätte ein gemütlicher Nachmittag mit viel Sonne, etwas Bier, etwas kontrollierter Gewalt und einer Handvoll Burlesque-Nummerngirls werden können, doch der Prater Biergarten – sowie der Rest von Berlin – zeigt sich an diesem Wochenende lieber von seiner regnerischen Seite, man könnte auch sagen: es gießt in Strömen.
Aber die Gegend um den Prater hat sich offensichtlich eine Sentenz aus der klischeebehafteten Welt der Sprücheklopfer schwer zu Herzen genommen: „Wer ständig seine Schokoladenseite zeigt, der läuft Gefahr vernascht zu werden!“ Und das gilt für einen großen Teil dieser Stadt. Insofern kann man sich für die Bauern freuen oder auch an der Tatsache ergötzen, dass 90 Prozent der Anwesenden tatsächlich wegen der Kämpfe hier sind.
Bei gutem Wetter hätte man die ganze Laufkundschaft ertragen müssen. Menschen, die sich nach vorne drängeln, um mal einen Blick zu erhaschen, das iPhone zücken, um Beweisfotos für die Freunde aus der Jugendherberge zu schießen, und dann wieder das Weite suchen, während sie verwirrt grinsend durch die Menge stolpern. Und wer mag die schon. Der Ring ist zum Glück überdacht, nur die Gäste und vereinzelte Touristen stehen im Regen.
Idealerweise setzt der Regen immer genau zu den kurzen Pausen ein, es entwickelt sich also eine überdimensionale „Reise nach Jerusalem“: Sobald der Regen einsetzt, rennt die volltätowierte Meute unter das schützende Dach und bestellt Bier, kaum hört es für ein paar Minuten auf, rennen sie zurück und streiten sich um die besten Plätze. Ab und zu ermahnt die Ringsprecherin ein paar Eltern, ihre Kinder von den Ringseilen zu entfernen, wir sind halt im Prenzlauer Berg. Interessiert aber keinen.
Der erste Kampf wird noch mit T-Shirt und Kopfschutz bestritten, merkwürdigerweise beschweren sich vor allem die Frauen darüber, aber bereits der Zweite birgt für mich als Verfolger der Berliner Rap-Szene eine interessante Überraschung. Marcus Staiger tritt an, seines Zeichens ehemaliger Labelboss des bedeutendsten HipHop-Forums Deutschlands, dem Royal Bunker.
Im Kreuzberger Bunker durfte so mancher hoffnungsvoller Nachwuchsrapper sein Können unter Beweis stellen, und es entstanden die deutschlandweit besten Untergrundtapes. Die Liste der ehemaligen Bunker-Legionäre ist lang, ob Kool Savas, Prinz Pi, Sido oder auch K.I.Z, beim Bunker war so gut wie jeder mal unter Vertrag.
Viele der Nachwuchsrapper wurden Stars, vielleicht ist das der Grund, warum Staiger in großen Teilen Berlins so einen schlechten Ruf hat. Er wird als „ehemaliger Kreuzberger und nun Berlin-Mitte-Boy“ angekündigt (und das als gebürtiger Kornwestheimer), was ihm nur wenige Sympathien einbringt. Staiger verliert natürlich, denn Ingo ist klar besser, und ich kann nicht anders, als dem Besieger des selbst ernannten Rap-Moguls zu gratulieren. Tatjana jedoch sieht das ganz anders: „Is’ ja wie im Mittelalter, die hauen sich doch einfach nur, bis einer umfällt!“
Sämtliche Bemühungen, sie für die sportliche Seite des Boxens zu begeistern, schlagen fehl. Sie erfreut sich nicht mal an der Tatsache, dass Staiger verloren hat, wie auch, sie kennt ihn ja gar nicht. Also lass ich sie reden und lausche den Gesprächen in meiner Umgebung.
Es hat sich doch noch Laufkundschaft eingefunden. Die Amerikaner neben mir tauschen sich über ihre Berlin-Erlebnisse aus. Beide bestätigen, Berlin nicht nur zu „liken“, nein, sie „loven“ es sogar. Der eine prescht vor: „You have been to Berghain?“, fragt er und outet sich somit als Reiseführer-Clubgänger. „No“, antwortet sein Gegenüber, „but I have been to Reichstag!“